Das Beste aus dem Busch von Down Under

Beste Busch Down Under
Beste Busch Down Underchristian schnohr
  • Drucken

Wilde Zutaten, edle Gerichte: In Australiens Norden zeigen Ranger und Chefköche ihren Gästen, aus welchen heimischen Pflanzen sie Leckeres zaubern können. Und Aborigines geben Einblicke in Buschmedizin und ihre Kultur.

Barbara Reichert wachelt hektisch mit der Hand vor ihrem Mund. „Mann, ist das scharf“, entfährt es der deutschen Touristin zwischen zwei tiefen Atemzügen. Schließlich versucht sie, mit einem kalten Bier ihren brennenden Rachen zu kühlen. Jodi Clark grinst breit. Schließlich ist sie schuld, sie hat ihr die Beeren angeboten: „Bergpfeffer aus dem Regenwald Tasmaniens“, erläutert die braunhaarige Frau mit dem unschuldigen Blick. Der botanische Name der Höllenbeere: Tasmannia lanceolata.

„Man verwendet sie für Saucen, Marinaden, aber auch für Desserts. Für Eis zum Beispiel.“ Jodi arbeitet im Kingfisher Bay Resort auf Fraser Island, der größten Sandinsel der Welt. Hier bieten die Verantwortlichen dreimal in der Woche ein „Bush Tucker Tasting“ an. Das Motto: der Geschmack Australiens. Experimentierfreudige Gäste lernen diverse Zutaten aus der Natur und ihre Verwendung kennen. Probieren ist Pflicht.

Auf den sorgsam polierten weißen Tellern liegen rote Beeren in der Gesellschaft von grünen Blättern und kleinen Nüssen. Jodi erklärt jede einzelne Komponente des Gerichts: Wo man die nach Kastanien schmeckende Bunya-Nuss (Araucaria Bidwillii) findet zum Beispiel oder dass die oliven- bis limonengrüne Kakadu-Pflaume (Terminalia ferdinandiana), den höchsten Vitamin-C-Gehalt aller Früchte aufweist. „Wilde Zitronenmyrte kann man benutzen, um seinem Bier eine fruchtige Note zu geben. „Probiert mal“, sagt sie und krümelt ein Blatt Leptospermum citratum in das halb leere Glas von Barbara. „Corona aus dem Busch.“

Spinat für Captain Cook

Einiges erinnert vom Geschmack her an uns bekannte Speisen. Wie Warrigal Greens – Neuseelandspinat (Tetragonia tetragonioides). „Das nutzte schon Captain Cook 1770 als Spinatersatz für seine Mannschaft.“ Anderes, scheinbar Vertrautes überrascht dagegen: So haben Australiens Buschtomaten eine leichte Karamellnote. Die meisten der wilden Zutaten wachsen auch auf Fraser Island. Doch ist die Ernte aus Gründen des Naturschutzes strikt untersagt. „Fast alle Pflanzen wurden von den Aborigines seit über Tausenden von Jahren zum Überleben oder zum Verfeinern von Fleischgerichten genutzt. Das Wissen darüber wurde von Generation zu Generation weitergegeben.“

Fleisch vom Krokodil

Und so gelangte es schließlich zu Küchenchef Ryan Montgomery. „Unsere Gäste suchen das Außergewöhnliche – und zugleich Australische.“ Und so haben Montgomerys Gäste nach dem „Bush Tucker Tasting“ eine umfangreiche Auswahl aus Speisen, in denen sich die wilden Komponenten wiederfinden: Auf der K'gari-Platte wird gegrilltes Fleisch von Krokodil, Emu und Känguru zusammen mit Buschtomaten-Chutney, Bunya-Nuss-Pesto und einer Konfitüre aus Chili, Pflaumen und Rosella, einer australischen Hibiskusart (Hibiscus sabdariffa), gereicht. „Mein Lieblingsgericht ist eindeutig die Buschtomatensuppe“, sagt Montgomery.

Wichtig bei der Zubereitung ist die vergleichsweise sparsame Dosierung, denn die wilden Gewürze sind in der Regel wesentlich aromatischer als ihre europäischen Verwandten. Die Produkte für seine Küchenkreationen bekommt Montgomery aus einem kleinen Garten hinter seinem Restaurant. Dort zieht er wilde Zitronen- und Anismyrte oder auch Finger-Limetten (Microcitrus australasica), Montgomerys favorisierte Zutat. „Ich habe sie erst vor wenigen Jahren kennengelernt. Nun nutze ich sie, um geschmacksneutralen Austern oder stark geräuchertem Lachs eine fruchtige Note zu geben.“ Zum Abschluss des kulinarischen Ausflugs gibt es einen Daiquiri. Mit wilder Rosella. Und die Gäste sind sich einig: Der Busch schmeckt lecker. „Hier, nehmt einen tiefen Atemzug von den grünen Ameisen. Das hilft gegen Schnupfen und Erkältungen.“ Katherine Walker lacht, die Touristen nicht. Doch nach und nach verlieren sie ihre Scheu und schnuppern über Katherines ausgestreckter Hand, auf der zwanzig blassgrüne Ameisen herumlaufen. Und tatsächlich verbreitet sich ein beißender, leicht süßlicher Geruch, der spürbar die Atemwege befreit. Katherine Walker nickt zufrieden. Sie ist eine Yalanji. Der Aborigines-Stamm lebt im Dorf Wujal Wujal, rund vier Autostunden nördlich von Cairns in Queensland, am Rand des Daintree-Regenwaldes.

Achtung, Krokodile!

Das Ortsbild ist geprägt von staubigen Straßen und ein paar einfachen, schmucklosen Häusern. Durch Wujal Wujal fließt ein breiter Fluss, der von rot blühenden Bäumen gesäumt ist. Am Ufer stehen in regelmäßigen Abständen Schilder, die vor Krokodilen warnen. „Der Name unseres Dorfes bedeutet großer Wasserfall, zu dem führe ich euch jetzt.“

Katherine Walker gehört zu den Walker Sisters, einem Familienbetrieb, gebildet aus sechs Schwestern, Töchtern und Nichten. Während ihrer Touren im Regenwald oder zum Bloomfield-Wasserfall erklären sie interessierten Besuchern die Geheimnisse der Buschmedizin. „Diese Früchte heißen Bunduri, sie helfen gegen Diabetes. Ich nenne die Pflanze Insulinbaum“, sagt die 49-Jährige und eilt zum nächsten Busch.

Alkohol, Drogen, Gewalt

Katherine trägt blaue Shorts, eine große Sonnenbrille und ein orangefarbenes Poloshirt mit dem Aufdruck ihrer Firma. In der nächsten halben Stunde zeigt sie, was der Vater ihr beigebracht hat: Blüten gegen Kopfschmerzen, Kräuter gegen Fieber, Blätter gegen Bauchweh. „Und wisst ihr, wofür ich das benutze?“ Schweigen. Ratlose Blicke. „Zum Färben meiner Haare. Katherine schüttelt ihre braun-schwarzen Locken und lacht, wobei auffällt, dass die oberen Schneidezähne fehlen.

Doch die leicht untersetzte Frau verrät noch mehr. Über ihr 580-Einwohner-Dorf zum Beispiel, in dem bei der Herfahrt keine Menschenseele zu sehen war. „Die meisten aus dem Dorf kassieren Stütze vom Staat. Die wenigsten haben Arbeit.“ Alkohol, Drogen und häusliche Gewalt seien an der Tagesordnung. Ihre braunen Augen sehen traurig aus. Spuren eines harten Lebens. Mit fünf Jahren nahm die Regierung sie ihrer Familie weg. Die Politik wollte die junge Generation der Ureinwohner assimilieren. Katherine wuchs getrennt von ihrem Clan in einer Mission auf.

„Doch ich habe meine Kultur nie vergessen“, sagt sie trotzig. Später heiratete sie gegen den Willen ihrer Eltern einen Mann aus dem Dorf. Inzwischen ist sie geschieden, ihre leicht behinderte Tochter lebt bei ihr und arbeitet auch für die Walker Sisters. Die Gruppe ist am Fuß des Wasserfalls angekommen. Katherine setzt sich auf einen großen Stein, knetet nervös ihre Hände und zeigt nach oben. „Wir hier im Dorf vertrauen auf den heiligen Wasserfall.“ Sie schaut die Touristen prüfend an, versucht herauszufinden, ob sie ihr glauben. „Er verrät uns, wenn jemand gestorben ist. Was schlechte Nachrichten angeht, vertrauen wir nicht auf Mobiltelefone.“

Auf dem Rückweg hält Katherine bei einer Pflanze. „Damit wurden wir früher geschlagen, wenn wir den Älteren zu wenig Respekt gezollt haben. Das tat höllisch weh.“ Respekt ist eine der wichtigsten Regeln bei den Aborigines. „Doch die jungen Leute verlieren immer mehr den Bezug zu unserer Kultur und die Achtung vor den Älteren.“ Der Grund: Die nächste Schule ist mehrere Stunden entfernt. Und so wohnen die Kinder auch heute noch in Internaten und lernen in der Stadt ein anderes, moderneres Leben kennen.

Auf dem Rückweg trifft die Gruppe auf Katherines Schwester Francis. Sie hat bereits ein Picknick vorbereitet. Bei Sandwich und einem Saft beantworten beide weitere Fragen. Bis das Handy klingelt. Eine Gruppe bucht eine Tour für den nächsten Tag. Für gute Nachrichten ist es also zu gebrauchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.