Filmkritik

„Nowhere Special“: Ein todkranker Vater sucht neue Eltern für seinen Sohn

(c) Filmladen
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James Norton spielt in „Nowhere Special“ einen Alleinerzieher, der sterben wird. Herzzerreißend, schön – und doch erstaunlich unsentimental.

Zweimal sieht man Fensterputzer John (James Norton) und seinen vierjährigen Sohn, Michael (Daniel Lamont), in „Nowhere Special“ auf dem Weg in den Kindergarten. Beim ersten Mal ist der Erwachsene immer einen halben Schritt voraus. Er hat es eilig, muss zur Arbeit. Michael trottet verträumt hinterher, braucht ein bisschen, bis er den Knopf gedrückt hat, damit die Fußgängerampel grün wird. Beim zweiten Mal gegen Ende des Films haben sich die Geschwindigkeiten angepasst, die Rollen verändert. Der Erwachsene ist langsamer geworden, das Kind schneller. Es ist Michael, der an der Kreuzung aufmerksam nach links und rechts schaut, ehe er das Startsignal gibt: Es ist sicher, wir können hinübergehen.

Diese zwei Szenen sind typisch für das Drama: Regisseur und Drehbuchautor Uberto Pasolini hat einen dezenten, unsentimentalen Zugang zu dieser tragischen Geschichte gewählt. Die Kamera (Marius Panduru) begleitet den todkranken Alleinerzieher in seinem Alltag in Belfast – zu dem auch die Suche nach einer Adoptivfamilie für seinen Sohn gehört. Michaels Mutter hat die beiden verlassen, als das Kind erst wenige Monate alt war. Freunde oder Familie gibt es keine. John ist in Heimen und bei Pflegefamilien aufgewachsen, erzählt der sonst wortkarge Mann einmal seiner Arbeitskollegin. Nun sucht er einen „normalen“ Platz für seinen Sohn: Mama und Papa, Garten und Hund – was man sich eben vorstellt, wenn man an eine idyllische Kindheit denkt.

Hart und verletzlich zugleich

Die Begegnungen mit den potenziellen Adoptiveltern, die so voller Erwartungen sind, sind unangenehm. Gerade die, die nach außen hin perfekt wirken, unterliegen einem fundamentalen Irrtum: Sie glauben, dieses Kind nach eigenen Vorstellungen formen, sich in ihm verwirklichen zu können. Dabei ist Michael schon eine fertige Persönlichkeit, die sich nicht ohne Gewalt verbiegen lässt. Ein stilles, beobachtendes Kind.
Das harmonische Vater-Sohn-Gespann ist beeindruckend dargestellt, von dem bei den Dreharbeiten erst vierjährigen Lamont und von Norton, der den immer blasser werdenden John zurückhaltend und würdevoll verkörpert. Der britische Schauspieler galt zwischenzeitlich als Favorit für die Rolle des James Bond. Ähnlich wie Daniel Craig gelingt es Norton, Härte und Verletzlichkeit zugleich darzustellen, auch in „Nowhere Special“.

Wie John damit kämpft, seinem Sohn seinen nahenden Tod erklären zu müssen, ist herzzerreißend. Man muss viel weinen bei diesem Film, aber „Nowhere Special“ hinterlässt kein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, sondern Bewunderung für diesen hingebungsvollen Vater, für den es ein reales Vorbild gibt. Ein Zeitungsartikel inspirierte Pasolini. „Nowhere Special“ ist erst seine dritte Regiearbeit. Bisher trat der 64-Jährige eher als Produzent in Erscheinung („Bel Ami“). Erstmals war das Drama 2020 bei den Filmfestspielen in Venedig zu sehen, wo es leer ausging. Mit einiger Verspätung ist es nun im Kino angelangt.

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