Lieferkettengesetz

Firmen in Europa sollen stärker für ihre Zulieferer verantwortlich sein

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der LeyenREUTERS
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In den Regalen in Europa sollte es keine Produkte geben, die auf Zwangsarbeit basierten. Geplant sind Regelungen, die für etwa 13.000 Firmen in der EU gelten würden.

Die Europäische Kommission will Unternehmen für ihre Zulieferer stärker in die Pflicht nehmen. Es solle verhindert werden, dass Produkte, die auf Zwangsarbeit beruhten, auf den europäischen Markt kämen, teilte die Brüsseler Behörde am Mittwoch mit. 

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, es werde ein starkes Signal gesendet. In den Regalen in Europa sollte es keine Produkte geben, die auf Zwangsarbeit basierten. Konkret sollen in der EU tätige Firmen dazu gebracht werden, zu prüfen, dass ihre weltweiten Lieferanten unter anderem keine Sklaven- oder Kinderarbeit dulden und Umweltstandards einhalten. Manager sollen zudem dazu verpflichtet werden, sicherzustellen, dass Geschäftsmodell und Strategie ihres Unternehmens auf die Begrenzung der globalen Erderwärmung von maximal 1,5 Grad ausgerichtet sind.

In der EU wird jetzt mit langwierigen Debatten über das Vorhaben gerechnet. Unter anderem müssen das Europäische Parlament und die EU-Regierungen eingebunden werden. Geplant sind Regelungen, die dann für etwa 13.000 Firmen in der EU gelten würden. Hauptkriterium wäre, dass sie mehr als 500 Mitarbeiter haben und der Nettoumsatz pro Jahr bei mehr als 150 Millionen Euro liegt. In Bereichen wie etwa der Bekleidungs-, Schuh-, Lebensmittel- und Chemieindustrie sollen die Regelungen schon für kleinere Firmen gelten. Zudem könnte das Vorhaben rund 4000 Unternehmen einbeziehen, die in der EU tätig sind, aber ihren Sitz nicht dort haben. 

Schramböck will kein „Bürokratiemonster"

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) begrüßt die Pläne der EU-Kommission, will sich eine entsprechende Richtlinie aber "sehr genau ansehen". Viele Unternehmen nähmen ihre Verantwortung im Bereich der Menschenrechte schon jetzt wahr, sagte Schramböck am Mittwoch am Rande einer Pressekonferenz. Es gelte, auf bereits bestehenden Gesetzen aufzubauen, so die Ministerin.

Es sei absolut zu begrüßen, dass man auf EU-Ebene etwa den Schutz im Bereich der Kinderarbeit verbessere. Man müsse aber vermeiden, ein "Bürokratiemonster" zu kreieren, sagte Schramböck, denn darunter würden letztendlich vor allem kleinere und mittlere Unternehmen leiden. "Der österreichische Mittelstand ist auch zu schützen, das ist ein Gut für sich", sagte sie.

Über Lieferkettengesetze wird schon länger diskutiert. Größere Öffentlichkeit bekommt das Thema zumeist, wenn Missstände wie Kinderarbeit und Hungerlöhne in Entwicklungsländern ans Licht kommen oder es zu schweren Arbeitsunfällen kommt. So stürzte 2013 etwa in Bangladesch eine achtgeschoßige Textilfabrik in knapp 90 Sekunden ein. Rund 1100 Menschen starben in den Trümmern.

Die Grünen begrüßen den Vorschlag eines EU-Lieferkettengesetzes. Der Vorschlag sei "ambitioniert und eine Riesenchance für unsere Betriebe", sagte die Grüne-Wirtschaftsprecherin Elisabeth Götze laut einer Aussendung vom Mittwoch. Das Gesetz stärke Unternehmen, die bereits jetzt verantwortungsvoll und ökologisch wirtschaften. "Ein großer Wermutstropfen" sei allerdings die Ausnahme für Firmen mit weniger als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, denn damit seien 99 Prozent der europäischen Betriebe nicht betroffen, so der EU-Abgeordnete der Grünen, Thomas Waitz. Das EU-Parlament habe dem Vorschlag bereits im März 2021 zugestimmt, "leider geht mit der großen Verspätung des Kommissionsvorschlags auch eine deutliche Verwässerung der Parlamentsvorlage einher", sagte Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen im EU-Parlament. Notwendig sei ein "starkes Gesetz, das Unternehmen an die politische und juristische Kette nimmt", so Vana.

Auch die SPÖ zeigte sich am Mittwoch erfreut über den Vorschlag der EU-Kommission. Es sei höchste Zeit für ein strenges Lieferkettengesetz in Europa, so SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath in einer Aussendung. Ziel des EU-Parlaments sei es nun, das Gesetz so ambitioniert und streng wie möglich zu gestalten. Bis zur Umsetzung dürfe nicht noch mehr Zeit verstreichen: "Das Lieferkettengesetz muss absolute Priorität haben. Es ist einer der wichtigsten Schlüssel, um nachhaltig und konsequent gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen vorzugehen", so Vollath. Dazu brauche es auch ein "entschlossenes Handeln" der österreichischen R egierung, so SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim.

Nicht-Regierungsorganisationen sehen in den Plänen zwar einen Fortschritt, bleiben aber kritisch. "Es gibt noch sehr viel Reformbedarf bis zum finalen Beschluss", so der WWF. Aus Sicht von ATTAC und Südwind müssen Schlupflöcher ausgeräumt werden. "Mit dem EU-Lieferkettengesetz ist es wie mit einem Tigerbaby. Wir sind sehr froh, dass es endlich da ist - aber die Augen muss es erst aufmachen und Zähne müssen noch wachsen", so Südwind. Greenpeace stört sich unter anderem daran, dass derzeit Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern beim Vorhaben ausgenommen seien.

WKÖ: Untaugliches Mittel

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) spricht sich zwar für einen einheitlichen Rechtsrahmen aus, der vorgelegte Entwurf zum EU-Lieferkettengesetz sei jedoch ein "untaugliches Mittel" und für Unternehmen "in der Praxis nicht umsetzbar", so WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf am Mittwoch in einer Aussendung. Wertschöpfungsketten seien so komplex, dass Unternehmen diese nicht kontrollieren könnten. KMUs seien im Vorschlag zwar ausgenommen, könnten als Zulieferer für größere Firmen aber dennoch in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Der Vorschlag der EU-Kommission schaffe "unkalkulierbare Haftungsrisiken" und bedrohe die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen, so Kopf. Die Einhaltung von Umwelt- oder Sozialstandards sei die Aufgabe von Nationalstaaten, nicht jene der Wirtschaft, sagte WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik.

Preiserhöhungen möglich

In Deutschland plant wegen des neuen Gesetzes etwa jedes fünfte Unternehmen Preiserhöhungen. Ziel sei es, die Kosten für die Einhaltung des Gesetzes auszugleichen, heißt es in der Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln unter rund 1000 Firmen. Etwa zwölf Prozent beabsichtigen, Länder mit schwachen Governance-Strukturen und hier vor allem Entwicklungs- und Schwellenländer aufgrund der neuen Vorschriften zu verlassen. Rund 18 Prozent planen, Vorprodukte nur noch aus Ländern zu beziehen, die hinreichend auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards achten.

"Der Entwurf droht Unternehmen zu überfordern", sagte  Wolfgang Niedermark vom deutschen Industrieverband BDI. Der Anwendungsbereich gehe zu weit und sei damit realitätsfern. Anforderungen müssten auf die direkten Zulieferer beschränkt werden, um praxistauglich zu sein. Der Versicherungsverband GDV begrüßte, dass es eine einheitliche Regelung für Europa geben soll. "Kritisch zu sehen ist, dass selbst Teile des kleineren Mittelstands durch die neuen Vorschriften erfasst werden", sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Das kritisierte auch der Mittelstandsverband BVMW: "Allein in Deutschland wären bis zu 16.675 Unternehmen vom Brüsseler Bürokratiehammer betroffen." Viele Betriebe seien aber durch die Corona-Pandemie geschwächt, zusätzliche Belastungen nicht angebracht. 

Der Bundestag hatte 2021 dem Lieferkettengesetz zugestimmt. Große Unternehmen werden ab 2023 verpflichtet, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ihren Zulieferern vorzugehen. Bei Verfehlungen drohen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Umsatzes. Es gilt zunächst für Konzerne mit jeweils mehr als 3000 Mitarbeitern. Ab 2024 sollen auch Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten einbezogen werden.

(APA/Reuters)

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