Indisches Filmfestival

Eine Frau gegen Bollywood

Erste Hauptrolle mit 88: die indische „Grande Dame“ Farrukh Jaffar als Mehrunisa
Erste Hauptrolle mit 88: die indische „Grande Dame“ Farrukh Jaffar als Mehrunisasandeepkumarfilms
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Der Wiener Regisseur Sandeep Kumar lässt in „Mehrunisa“ eine betagte Schauspielerin gegen das patriarchale indische Filmsystem antreten.

Als Mehrunisas Ehemann stirbt, da trauert sie nicht, wie man es von ihr erwartet. Stattdessen fährt sie in die Stadt, besorgt sich das größte Beil, das sie finden kann – und zerschlägt damit ihr Ehebett.

Skandal genug für das nordostindische Lucknow, doch dann steht eines Tages auch noch die Abordnung eines Bollywood-Produzenten vor der Tür, um Mehrunisa, die in jungen Jahren Schauspielerin war, für ein Filmprojekt über den Aufstand gegen die Kolonialherrschaft 1857 zu gewinnen. Nur dass die 80-Jährige mit dem Script alles andere als einverstanden ist . . .

Es habe ihn gestört, dass in indischen Filmen Frauen immer nur Platzhalter sind, sagt der Wiener Filmemacher Sandeep Kumar über seinen Film „Mehrunisa“. „Es gibt das Love Interest, die Schönheit, in älteren Rollen vielleicht eine Großmutter oder Tante. Ich habe mich gefragt, wo all die großartigen Schauspielerinnen sind, die ich aus meiner Kindheit und Jugend kenne. Ich habe recherchiert – viele leben noch, aber wenn sie noch sichtbar sind, dann nur in ganz kleinen Rollen. Haben wir denn keine Geschichten über Frauen zu erzählen?“

Er selbst jedenfalls schon: In „Mehrunisa“ erzählt er von drei Frauen aus drei Generationen, die jede auf ihre Weise mit dem Patriarchat ringen – und Großmutter und Enkelin auch noch mit den mächtigen Männern der Filmindustrie. Das Problem sei, dass die indische Filmlandschaft sehr kommerziell sei, sagt Kumar. „Die Filme werden, im Gegensatz zu Österreich, zu 99 Prozent mit privaten Geldern finanziert. Und diese Leute wollen mit dem Film Geld machen.“ Er habe selbst versucht, einen Co-Produzenten zu finden, „aber es kommt immer die gleiche Frage: Wer spielt den Helden? Gleich wie in Hollywood.“

Mögliche Partner hätten denn auch stets auf Einführung eines männlichen Helden gedrängt, aber er habe sich geweigert, seine Geschichte zu ändern, zeigt sich Kumar hartnäckig. „Also habe ich entschieden, den Film selbst zu produzieren, auch wenn es eine große Herausforderung war. Aber dafür bin ich Filmemacher geworden.“

Indisches Filmfestival in Wien

Die Berufswahl hatte Kumar, seit 20 Jahren „Wahlwiener aus Überzeugung“, 2008 getroffen. Aufgewachsen war er in Neu Delhi, wo er in jungen Jahren Theater spielte, „hauptsächlich auf Englisch, viel Shakespeare“. In seinen ersten beiden Stücken spielte er neben Shah Rukh Khan – der heutige Superstar des indischen Kinos ging in dieselbe Schule. Kumars Vater war Deutschprofessor, auch seine Mutter unterrichtete die Sprache. Verbindungen zur Filmindustrie hatte die Familie keine, „die war weit weg in Bombay“.

Filmemacher Sandeep Kumar in Wien
Filmemacher Sandeep Kumar in Wien(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)

Neben dem Theater galt Kumars Leidenschaft der Flugzeugtechnik, „da war es naheliegend, dass ich so etwas mache“. So kam er nach Deutschland, um Technik und Wirtschaft zu studieren. Schon dort, wie auch während eines späteren Studiums in den USA, dreht er nebenbei Kurzfilme, danach habe ihn das Thema nicht mehr losgelassen.

Für seine ersten Spielfilme erfand er das Genre des Austro-Bollywood-Films, eine Art Crossover aus indischem Mainstream- und realistischem österreichischen Kino. Dem folgten eine Doku über Hindus in Österreich und das in New York gedrehte „Another Day in Manhattan“. „Mehrunisa“ ist nun die erste österreichische Produktion, die komplett in Indien in indischer Sprache gedreht wurde.

Premiere hatte der Film am Frauentag im Stadtkino – im Beisein von mehr als 30 Botschafterinnen, zum Auftakt des ersten, von der indischen Botschaft organisierten Indian Film Festival Vienna. „Für mich als Filmemacher ein historisches Ereignis“, sagt Kumar. „Der Film wurde mit viel Liebe und Leidenschaft gemacht – und dann zum richtigen Datum vorgeführt.“ Regulär läuft der Film ab Freitag – für wie lang, hängt vom Zuspruch ab.

Standing Ovations in Goa

Gespielt wird Mehrunisa übrigens von der damals 88-jährigen Farrukh Jaffar, laut Kumar die „Grande Dame des indischen Kinos“: „Ich war nicht sicher, ob sie es machen würde“, erzählt er, „aber sie hat sofort Ja gesagt.“ Wohl, weil sie in dem Film auch ihre eigene Geschichte widergespiegelt sah. „Sie spielt seit 50 Jahren kleinere Rollen. Für mich ist sie eine großartige Schauspielerin, die nie die Möglichkeit bekommen hat, eine Hauptrolle zu spielen.“ Gar eine Hauptrolle mit einer 88-Jährigen zu besetzen, das, glaubt er, hätte in Indien niemand gewagt. „Dafür haben wir die Möglichkeit nun genutzt.“

Nach Wien konnte Jaffar nicht mehr kommen – sie ist vor vier Monaten, einen Tag vor der US-Premiere, gestorben. Immerhin habe sie die gefeierte Premiere des Films beim internationalen Filmfestival in Goa mit Standing Ovations (und einer überraschenden Wiederholung des Films!) noch erlebt, erzählt Kumar. „Später habe ich auch von ihrer Tochter erfahren, dass sie mit dem Film noch viel aufarbeiten konnte – tatsächlich hat auch sie einen Mann gehabt, der sie sehr unterdrückt hat. Es ist also auch ihre Geschichte. Wir haben noch immer nicht realisiert, dass sie in ihrer physischen Form nicht mehr in dieser Welt ist. Aber ihre Energie, ihr Geist und ihr Enthusiasmus sind zeitlos.“

Auf einen Blick

Indian Film Festival Vienna. Die indische Botschaft lädt noch bis Sonntag, 13. März, bei freiem Eintritt zum indischen Filmfestival. Auftakt war am 8. März mit „Mehrunisa“ (ab Freitag im Kino). Mittwoch: „Die Farbe Safran“, Donnerstag „No One Killed Jessica“, Freitag: „3 Idiots“, Samstag: „Chennai Express“, Sonntag: „Mary Kom“ (jeweils um 19.30 im Top Kino). Anmeldung online unter

Web: www.iffv.in

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