Die verschlungenen Wege eines globalen Begriffs

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Das Wort Nachhaltigkeit hat eine lange Geschichte, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Heute hat der Begriff in Wirklichkeit drei verschiedene Bedeutungen, über die sich trefflich streiten lässt.

Mit den Definitionen von Nachhaltigkeit, welche wir finden, lässt sich wenig oder – wenn man lieber will – alles machen.“ Dieser Satz liegt im Zeitgeist: Nachhaltigkeit wird in so vielen Zusammenhängen verwendet, dass der Begriff ziemlich beliebig ist – bekanntlich soll sich nicht nur die Welt nachhaltig entwickeln, sondern auch Unternehmen oder Aktienkurse. Der eingangs zitierte Satz ist aber nicht in der Gegenwart gefallen. Er stammt aus dem Jahr 1880, geschrieben vom preußischen Forstexperten Bernhard Borggreve.

Ein altes deutsches Wort

Der Begriff war immer umstritten. Oder besser gesagt: Er war es seit dem Zeitpunkt, als er eine fachsprachliche Bedeutung bekam. Und das geschah im 18.Jahrhundert. Daneben hatte und hat das Wort auch eine umgangssprachliche Bedeutung. „Nachhalten“ bedeutete in der deutschen Rechtssprache im Mittelalter so viel wie etwas zurückhalten, für später schonen. Im „Wörterbuch der deutschen Sprache“ von Joachim Heinrich Campe (1809) bezeichnet „Nachhalt“ das, woran „man sich hält, wenn alles andere nicht mehr hält“. Das ist sehr allgemein, jedenfalls weit weg von der heutigen spezifischen fachsprachlichen Bedeutung. Die gebräuchlichste – wenn auch nicht einzige – Definition stammt aus dem Brundtland-Bericht der UNO (1987): „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, welche die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Am Erdgipfel von Rio (1992) wurde Nachhaltigkeit explizit auf die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit gestellt, die miteinander vernetzt sind.

Diese Gedanken haben ein lange Geschichte. Vorläufer finden sich etwa im Sonnengesang des Franz von Assisi. Er verwendet das Wort „sustentamento“ – aus dem sich das englische „sustainability“ ableitet – für all jenes, was zur Erhaltung und zum Fortbestand von Lebewesen und Dingen notwendig ist. Viele Denker haben das weiterentwickelt, 450 Jahre nach Franz machte sich Baruch Spinoza Gedanken über ein Leben im Einklang mit der Natur.

Wirkmächtig wurde der Vorsorgegedanke in der Forstwirtschaft: Holz war der wichtigste Roh-, Bau- und Brennstoff. Und er wurde zunehmend knapp. In Venedig oder England erforderte der Schiffbau immense Mengen – in einer einzigen Fregatte stecken 400 Eichenstämme. Je größer die Flotten wurden, desto mehr wuchs das Problem. Forstleuten war klar, dass man ohne Waldpflege nicht auf Dauer Holz ernten konnte. Also entwickelten sie Methoden, die lange Zeiträume einbeziehen. Als Überbegriff verwendete man den alten Begriff „conservatio“ – die Bewahrung der Schöpfung.

Im Jahr 1713 haben diese Idee und das Wort „Nachhaltigkeit“ schließlich zusammengefunden – sie sei, wie es Ulrich Grober in seinem Buch „Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs“ (Kunstmann) ausdrückt, plötzlich „zu einem Begriff kristallisiert“. Hans Carl von Carlowitz war als Berghauptmann im sächsischen Freiberg auch für die Holzversorgung zuständig. Er hatte bei einer Italien-Reise die venezianischen Forste besucht und beschrieb sie in seiner „Sylvicultura oeconomica“ als vorbildlich. Er formulierte ein System, das nicht auf kurzfristigen Gewinn, sondern auf langfristige Ertragskraft ausgelegt war. Man müsse das Holz „pfleglich“ behandeln, schrieb er. Und beinahe nebenbei verwendet er auch das Wort „nachhaltende Nutzung“. Er wollte damit den Begriff „conservatio“ eindeutschen.

In Carlowitz' Buch erscheinen alle Ingredienzien des modernen Nachhaltigkeitsbegriffs: die Natur respektieren (Ökologie), mit den Ressourcen haushalten (Ökonomie) und das Gemeinwesen stärken (soziale Gerechtigkeit). Das neue Waldbausystem mit genauer Planung, wo geschlägert und wo aufgeforstet wird, für hundert und mehr Jahre im Voraus erwies sich als höchst erfolgreich. Nebenbei bemerkt: Das Konzept beschrieb niemals einen paradiesischen Naturzustand, sondern war stets auf größtmöglichen (langfristigen) Ertrag ausgelegt.

Rückübersetzung aus dem Englischen

Im bewussten Planen im Geiste der Kameralistik geriet die Nachhaltigkeit in einen schroffen Gegensatz zum Liberalismus von Adam Smith. Was sich bis heute nicht geändert hat: Der Gegensatz zwischen nachhaltigen und neoliberalen Entwürfen könnte nicht größer sein. In der Forstwirtschaft blieb die Nachhaltigkeit dennoch das dominierende Leitbild. Und als solches wurde sie schließlich in die ganze Welt exportiert.

In den USA geschah das durch deutsche Forstexperten bzw. Förster, die in Europa ausgebildet worden waren. Anfangs von den Holzbaronen, die nach dem Motto „Cut and get out“ agierten, abgelehnt, setzte sich das Konzept des „wise use“ aber dann doch durch – begünstigt durch die Erosionsprobleme („dust bowl“) im Mittelwesten, die man im „New Deal“ durch Aufforstungen bekämpfte. Es setzte sich der Begriff „sustained yield“ durch – das Wort „sustain“ ist im Englischen seit dem Mittelalter belegt, es bedeutet u.a. „bewirken, dass etwas in einem bestimmten Zustand fortdauert“. 1960 wurde das Prinzip in den USA gesetzlich verankert, es fand auch Eingang in die UN-Organisation FAO.

All das spielte sich in der abgeschlossenen Welt von Forstwirten und Ökologen ab. Erst vor 40 Jahren änderte sich das. 1968 trafen sich in Rom neugierige Wissenschaftler – unter ihnen Ökologen –, die die Entwicklung der Welt in Computermodellen simulierten. Es zeigte sich, dass innerhalb der natürlichen Grenzen ein „weises“ Ressourcen-Management notwendig sei – das erinnerte die Forscher an das alte forstwirtschaftliche Prinzip. Mit dem Erscheinen der „Grenzen des Wachstums“ (1972) wurde das Wort „sustainable“ in einen viel weiteren Zusammenhang gestellt: der Bewahrung der ganzen Welt und aller Sektoren. Damit war der Grundstein für den heutigen globalen Leitbegriff gelegt, der in diversen UN-Konferenzen weiter ausgearbeitet wurde.

In diesem Bedeutungszusammenhang wurde das Wort wieder ins Deutsche zurückübersetzt. Und seit damals gibt es eigentlich drei Nachhaltigkeits-Begriffe: den alten umgangssprachlichen, jenen relativ scharf definierten aus der Forstwirtschaft, und schließlich den weiten Begriff – über den sich heute so trefflich streiten lässt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2010)

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