Volkswirtschaft: Die fehlende Nachhaltigkeit des BIPs

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Um Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen, braucht es neue Messgrößen. Wenn es um die menschliche Lebensqualität geht, ist es schwer, objektive Bewertungen zu finden.

Wien „You can't manage, what you can't measure“ (Man kann nichts steuern, was man nicht messen kann), lautet ein Leitspruch der Wirtschaftslehre. In der Betriebswirtschaft gibt es daher eine Menge an Kennzahlen, die Firmenchefs ihre Arbeit erleichtern. Bei einer Volkswirtschaft gibt es jedoch nur eine entscheidende Kenngröße: das Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Wenn es darum geht, ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaften zu bewerten, gerät das BIP allerdings schnell an seine Grenzen. So trägt etwa das Trocknen der Wäsche in der Sonne nicht zum BIP bei – hat also keinen Wert. Wirft man die Wäsche indes in den Trockner und verbraucht Strom, kommt es zu einem BIP-Wachstum.

Sarkozy will „Zufriedenheit“ messen

Ökonomen versuchen daher seit Längerem, die Umwelt- und die Lebensqualität der Menschen in die volkswirtschaftlichen Berechnungen einfließen zu lassen. So beauftragte etwa der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy den Nobelpreisträger Joseph Stiglitz damit, eine Messgröße für die „Zufriedenheit“ der Franzosen zu entwickeln. Und seit heuer ergänzt auch die EU in ihren nationalen Fortschrittsberichten das BIP erstmals mit einem „Umweltindex“. „Dieses Beziffern von Umwelt und Lebensqualität ist unbedingt notwendig. Allerdings ist es oft schwierig, Umwelt in Dollar auszudrücken“, meint dazu Michael Depledge, Direktor des europäischen Instituts für Umwelt und Gesundheit und ehemaliger Berater der britischen Regierung. „Denn wie viel ist ein Tiger, der durch die Wälder streift, wert?“, so Depledge.

Auch wenn es um die menschliche Lebensqualität geht, ist es schwer, objektive Bewertungen zu finden. So stellte zwar schon John F. Kennedys jüngerer Bruder Robert in den Sechzigerjahren fest: „Das BIP misst alles, außer das, wofür sich das Leben lohnt.“ Doch wie lässt sich der Wert von Kindern in monetären Einheiten ausdrücken, fragt Depledge. Im Himalaya-Königreich Bhutan wird zwar seit 1972 das Bruttonationalglück erhoben – solche Bewertungen finden jedoch schnell nicht mehr auf dem Feld der Ökonomie, sondern auf jenem der Philosophie statt.

Dass es bei der Bewertung von Umwelt nicht nur um eine Diskussion im Elfenbeinturm der Wissenschaft geht, zeigt beispielsweise der Klimawandel. Bei diesem müssten jetzt große Investitionen getätigt werden, um künftige Schäden zu vermeiden. Konkret muss die Energieversorgung von – rein betriebswirtschaftlich betrachtet – billigeren fossilen Energieträgern auf teurere erneuerbare Energieträger umgestellt werden, um den CO2-Ausstoß samt Temperaturanstieg und daraus folgenden Schäden zu verringern. Die Frage ist jedoch: Wie sollen für die Zukunft prognostizierte Umweltschäden bewertet werden?

Einen Versuch dieser Bewertung wagte 2006 der ehemalige Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern. Er berechnete, dass der Klimawandel ohne Gegenmaßnahmen in den nächsten beiden Jahrhunderten durch Stürme oder Überschwemmungen ein Fünftel des globalen BIPs kosten würde. Wichtig sei daher, CO2 einen konkreten Preis zu geben, so Stern.

Viel Kritik am CO2-Handelssystem

Dies wurde innerhalb der EU durch die Einführung der CO2-Zertifikate versucht, bei denen im Rahmen einer Börse ein Preis ermittelt wurde. Dadurch sollen Unternehmen einen Ansporn haben, ihre Energie möglichst effizient einzusetzen und den CO2-Ausstoß zu verringern.

Das System sorgte bisher jedoch vor allem für Kritik. Laut Befürwortern wurden zu viele Zertifikate gratis an die Unternehmen vergeben. Gegner sahen durch den auf Europa beschränken CO2-Handel indes den Wirtschaftsstandort gefährdet.

Und auch mehr Effizienz kann negative Effekte mit sich bringen, verweist Depledge auf das Beispiel der Landwirtschaft: „Die Versorgung mit Lebensmitteln ist durch Effizienzsteigerungen deutlich gestiegen. Allerdings sind der Boden und das Grundwasser überdüngt. Kurzfristig gab es eine Effizienzsteigerung, langfristig erweist sich das als schädlich.“


Michael Depledge ist am 6.Dezember Gast bei den „ARA-Lectures“ in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2010)

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