Gesundheit: Sozialversicherungen empfehlen "Rosskur"

Gesundheitsreform Sozialversicherungen empfehlen bdquoRosskurldquo
Gesundheitsreform Sozialversicherungen empfehlen bdquoRosskurldquo(c) Clemens Fabry
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Angesichts der ausufernden Systemkosten legt der Hauptverband ein Konzept vor und will nun mit Bund und Ländern in Verhandlung treten. Kaum ein Stein soll auf dem anderen bleiben.

[WIEN] Die nackten Zahlen verheißen nichts Gutes: Seit zehn Jahren steigen die Gesundheitsausgaben in Österreich stärker als die Wirtschaftsleistung. Das Institut für Höhere Studien prognostiziert, dass sie von derzeit 10,5 Prozent des BIPs auf über 12,5 Prozent bis ins Jahr 2030 anwachsen werden. Allein die öffentlichen Spitäler haben im Vorjahr 12,5 Milliarden Euro verschlungen. Schätzungen besagen, dass täglich eine Million Euro dazukommt.

Diese Entwicklung will der Hauptverband der Sozialversicherungsträger jetzt stoppen. Donnerstagabend präsentierten Vorstandschef Hans Jörg-Schelling und die Vorsitzende der Trägerkonferenz, WGKK-Chefin Ingrid Reischl, einen „Masterplan für Gesundheit“. Es ist ein sieben Seiten starkes Manifest für eine umfassende Gesundheitsreform. Die wichtigsten Punkte:

Neue Machtverteilung:
Kern der Reform ist eine Verfassungsänderung. Denn die wesentlichen Kompetenzen – Zieldefinition und Rahmenplanung – sollen dem Bund übertragen werden. Die Länder sollen im Spitalsbereich nur noch mit der Detailplanung betraut werden; man könnte auch sagen: entmachtet werden. Auch wenn das so natürlich nicht im Papier steht.

Überhaupt will die Sozialversicherung das System vereinfachen. Derzeit trennt das Gesundheitswesen die Kompetenzen zwischen Krankenanstalten und niedergelassenen Ärzten auf. Mit negativen Folgen, wie der Hauptverband findet: So komme es oft zu „Über-, Unter- und Fehlversorgungen“. Im Spitalsbereich sind die Kompetenzen nochmals aufgeteilt: Der Bund ist für die Grundsatzgesetzgebung zuständig, die Länder für Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung. Mit dem fragwürdigen Effekt, dass jedes Bundesland andere Regeln hat. Ergo: „Die Versorgung erfolgt nicht nach dem Bedarf, sondern nach den Zuständigkeiten der Akteure“, heißt es im Papier.

Der Hauptverband fordert deshalb eine bundesweit einheitliche Planung im Gesundheitswesen, die sich am Bedarf orientiert. Einen Rahmenplan gebe es zwar bereits – er sei jedoch „vergangenheitsorientiert“ und „nicht umfassend“.

Einheitliche Gesundheitsziele:
Zur Orientierung sollen künftig nationale Gesundheitsziele definiert werden, wie das in nahezu ganz Europa übliche Praxis ist. Einige Bundesländer haben zwar sogenannte Landesgesundheitsziele, doch die Themen und Zeithorizonte sind entsprechend unterschiedlich. Notwendig sei „ein Paradigmenwechsel“, meint die Sozialversicherung: Weg von der „reinen Reparaturmedizin“ – hin zu mehr Prävention.

Restrukturierung der Spitäler:
Mit 6,4 Akutbetten pro 1000 Einwohner liegt Österreich deutlich über dem EU-Schnitt von 3,6. Das ist ziemlich kostspielig, weshalb der Hauptverband dafür plädiert, die überzähligen Betten für Pflege und Rehabilitation zu verwenden.

Überhaupt müssten die Spitäler modernisiert und länderübergreifend geplant werden. Es brauche Tages- und Wochenkliniken; die Ambulanzen seien in Aufnahme-, Erstversorgungs- und Spezialzentren aufzuteilen. Spitzenversorgung, etwa komplizierte Operationen, sollte in Schwerpunktkrankenhäusern zentralisiert werden, die Basisversorgung dezentral bleiben. Schließungen seien nicht nötig. Die Ideen dürften im Sinne von Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) sein, der ähnliche Pläne hat. Interessanterweise bringt er es im „Masterplan“ auf keine Erwähnung.

„Gesamthafte“ Finanzierung:
Ziel des Hauptverbands ist eine „Finanzierung aus einem Topf“. Die Spitäler sollten zur Offenlegung ihrer Schulden und dann zu Konsolidierungsmaßnahmen gezwungen werden – wie die Krankenkassen.

Die Mittel für die Spitalsfinanzierung (die Hauptlast tragen Sozialversicherungen und Bund, obwohl sie kein Mitspracherecht haben) sollen gebündelt und an ein Prinzip gekoppelt werden: „Erst ein an gemeinsam formulierten Gesundheitszielen orientierter Bedarf löst Zahlungsströme aus.“

Orientierung am Patienten:
Die Öffnungszeiten in den Ärztepraxen sollten an die Bedürfnisse der Patienten angepasst werden. Denn: „Krankheit kennt keine Öffnungszeiten.“ Darüber hinaus brauche es neue Versorgungsstrukturen, etwa Kassenambulatorien und interdisziplinäre Ärztegesellschaften. Denn Gruppenpraxen gleicher Fachrichtungen seien letztlich nicht genug.

Mit diesen Vorschlägen will die Sozialversicherung einen „Gesundheitsreformdialog“ mit Bund und Ländern starten, es gilt das plakative Motto: „Allianz der gesunden Vernunft.“ Anfang 2011 wird Vorstandschef Schelling zur „Ersten nationalen Gesundheitskonferenz“ laden. Bis 2013 soll die Reform stehen. Dann nämlich wird der nächste Finanzausgleich geschnürt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2010)

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