Den Haag

Anwälte von Kosovos Ex-Präsident kritisieren Kriegsverbrechertribunal

APA/AFP/ARMEND NIMANI
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"Geschwärzte Dokumente" und ungenaue Angaben erschwerten Verteidigung von Hashim Thaçi, kritisieren die Anwälte des Angeklagten, der seit 2020 auf seinen Prozess wartet und seitdem in U-Haft ist.

Scharfe Kritik am Haager Sondergericht für Kriegsverbrechen im Kosovo üben zwei Anwälte des angeklagten, früheren Kommandanten der "Befreiungsarmee" UÇK und späteren kosovarischen Minister- und Staatspräsidenten Hashim Thaçi. Gregory Kehoe und Dastid Pallaska beklagen eine wackelige Rechtsgrundlage sowie mangelnde Kontrollmechanismen, was das Tribunal betrifft.

Während das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) auf Basis einer UNO-Resolution geschaffen wurde, fußt das Sondergericht zum Kosovo auf der kosovarischen Verfassung und nationalen, kosovarischen Gesetzen. Im Vergleich zum ICTY (1993-2017), wo er selbst im Fall des kroatischen Ex-Generals Ante Gotovina tätig war, gebe es "deutliche Unterschiede", so Kehoe. ICTY-Richter und -Ankläger seien der UNO berichtspflichtig gewesen und von der UNO kontrolliert worden. "Leider gibt es keine Kontrollmechanismen in unserem Fall (...) Dies fehlt in unserem Fall zur Gänze. Daher gibt es auch keine Verantwortlichkeit für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft." Es gebe als mögliches Korrektiv nur die Medien und die kosovarische Gesellschaft, meint der Jurist.

Angeklagte automatisch in U-Haft

Kehoe ist vor allem auch ein Dorn im Auge, dass sich vor dem Sondergericht Angeklagte nicht auf freiem Fuß verteidigen könnten, "wie dies beim ICTY ohne weiteres möglich war", sondern alle in Untersuchungshaft seien. So seien die früheren UÇK-Kommandanten Fatmir Limaj und Ramush Haradinaj als ICTY-Angeklagte auf freiem Fuß gewesen. Limaj, später Minister unter Premier Thaçi, und Haradinaj, nach dem Krieg Premier, waren vom ICTY von Kriegsverbrechen freigesprochen worden. Es sei zumindest "erstaunlich", dass Ex-Präsident Thaçi demgegenüber im Falle des Kosovo-Sondergerichts nicht die Möglichkeit habe, das Urteil auf freiem Fuß abzuwarten, obwohl er sich sehr kooperativ gezeigt habe.

Kehoes Kollege Pallaska beklagte, dass hinsichtlich des Sondergerichts auch Fristen verletzt worden seien: "Das Gericht wurde am 3. August 2015 mit einer Dauer von fünf Jahren geschaffen und sollte mit August 2020 zum Abschluss kommen, was nicht der Fall ist. Zumal wir uns im Jahr 2022 befinden, ist es ersichtlich, dass das Gericht seit fast zwei Jahren ohne rechtliche Basis tätig ist, auch wenn die Staatsanwaltschaft hier anderer Meinung ist. Die kosovarische Verfassung sieht (...) ein Mandatsende nach fünf Jahren vor", sagte der Jurist.

Thaçi wartet seit 2020 auf Prozess

Dass im November 2020 Anklage gegen Thaçi erhoben wurde, Thaçi deswegen vom Präsidentenamt zurücktrat, um sich dem Gericht zu stellen, aber der Prozess bis heute nicht begonnen hat, weil die Anklage nach wie vor nach Beweisen suche, daran stößt sich Kehoe. Viele Dokumente würden der Verteidigung zudem mit Schwärzungen übergeben, so dass den Anwälten für ihre Verteidigung wichtige Informationen nicht zugänglich seien. "Das ist für den Aufbau einer Verteidigungsstrategie sehr problematisch, da wir Aussagen nicht überprüfen können. Für uns ist es extrem schwierig Gegenargumente zu finden, damit wir den Vorwürfen entgegenwirken können." Entlastende Informationen seien zurückgehalten worden, so der Vorwurf.

Für Thaçi angelastete Verbrechen im Kosovo würden teils auch keine genauen Orts- und Zeitangaben gemacht. Zugleich habe sich Thaçi als Verhandler und quasi als "Diplomat" für die UÇK in Zeiten des Krieges immer wieder und auch länger im Ausland aufgehalten, so dass man bei genauen Angaben Vorwürfe womöglich leicht entkräften könnte.

Kritisiert wird von den Anwälten auch die Zahl von 326 Zeugen der Anklage, für deren Gerichtsaussagen etwa 1930 Stunden vorgesehen seien. Berücksichtige man, dass auch die Verteidigung ihre Zeugen habe, sei eine Prozessdauer von mehreren Jahren programmiert.

Am heutigen Donnerstag findet die nächste Anhörung zur Frage statt, ob die Angeklagten bis zu einem Urteil auf freiem Fuß bleiben können.

(APA/DPA)

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