Zur Sitzgruppe umfunktionierte Mülltonnen, gesehen bei Gabarage.
Design

Upcycling: Dinge, die Geschichten erzählen

Der Trend geht auch bei der Inneneinrichtung zu mehr Langlebigkeit – und immer öfter zu ganz besonderen Stücken. Einige Beispiele.

Jährlich fallen weltweit etwa 55 Millionen Tonnen allein an Elektroschrott an, das wären 5500 Eiffeltürme“, gibt Katharina Lenz, verantwortlich für Forschung und Entwicklung beim Unternehmen Trash-Design, eine ungefähre Vorstellung von der Masse an entsorgten Gegenständen. Daraus lässt sich einiges machen – und wird es auch immer öfter: Upcycling ist angesagt, die Aufwertung von Abfallstoffen durch Umwandlung in neue Produkte. Angesichts der unvorstellbaren Mengen, die heutzutage weggeworfen werden und in Zukunft ein veritables Problem darstellen werden, ist es auch höchst an der Zeit, das nicht nur in Ausnahmefällen zu tun.

Couchtisch gefertigt aus einer alten Waschmaschinentrommel.
Couchtisch gefertigt aus einer alten Waschmaschinentrommel.Trash-Design

Die Einrichtung der Wiener Volkshochschulen ist mittlerweile nur eine von vielen Organisationen und Unternehmen, die sich auf langlebiges Interieur spezialisiert haben. Trash Design setzt dabei auf Elektroschrott – und auf die soziale Komponente. „Wir arbeiten mit Menschen, die schon länger auf Arbeitssuche sind, und stellen aus Elektroschrott Möbel, Lampen, Handtaschen, Notizbücher oder Schmuck her“, erklärt Lenz.

So entstehen zum Beispiel Couchtische aus Waschmaschinentrommeln, Schüsseln aus den Bullaugen der Waschmaschine, Notizbücher aus alten Disketten oder Ringe aus Leiterplatten. Das Ausgangsmaterial kommt von der Wiener MA 48 und wird auf den Mistplätzen beiseitegelegt. „Wir zerlegen die Elektrogeräte, entfernen die Schadstoffe, dann bleibt im Jahr rund eine Tonne für das Upcycling übrig. In Zusammenarbeit zwischen Vertrieb und Werkstatt wird dann überlegt, welches Material wie zu welchen Stücken verarbeitet wird. Verkauft werden die Produkte über unseren Webshop, auf Veranstaltungen und im hauseigenen Shop“, erläutert Lenz den Weg vom Schrott zum Designstück. „Unsere Intention ist, Menschen und Dingen eine neue Chance zu geben.“

Boutiquehotel als Role Model

Auf ähnlicher sozioökonomischer Basis ist auch Gabarage aufgestellt. „Wir feiern dieses Jahr unser 20-Jahr-Jubiläum. Uns war immer wichtig, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit zu verschränken. Folgerichtig beschäftigen wir in unseren drei Werkstätten, im Verkauf und in der Verwaltung Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, einen Platz zu finden“, erläutert Gabriele Gottwald-Nathaniel, Vorsitzende des Vorstands, die Intentionen.

Eine zur Sitzbank umgebaute Rolltreppe.
Eine zur Sitzbank umgebaute Rolltreppe.Gabarage/Bernhard Angerer
Eine zur Sitzbank umgestaltete Mülltonne.
Eine zur Sitzbank umgestaltete Mülltonne.Gabarage/Moritz Scheer

Ihr Ausgangsmaterial ist alles, was nicht mehr gebraucht wird – gespendet, geschenkt oder auch gekauft von Firmen und Unternehmen, mit denen Gabarage Kooperationen unterhält. „Rolltreppen werden zu Sofas, Feuerwehrschläuche zu einer Schaukel, Planen zu Rucksäcken und Taschen verarbeitet, Bücher zu Hockern, und aus den verschiedensten Materialien wird kreativer Schmuck – und natürlich wird alles in Handarbeit hergestellt.“

Auch hier läuft der kreative Prozess in Zusammenarbeit, und „bei uns bestimmt das Material das Produkt“. Wie auch Gottwald-Nathaniel konstatiert, scheint Upcycling in der Gesellschaft angekommen zu sein: „Wir stellen fest, dass der Interieurbereich zunimmt. So haben wir die Innengestaltung des Boutiquehotels Stadthalle übernommen.“ Sie hofft, dass der Nachhaltigkeitsgedanke auch in diesem Bereich weiter Fuß fasst.

Restauriertes vom Dachboden

Einen anderen Weg geht Katrina Gietl mit ihren Kindermöbeln. Sie hat sich auf das Upcycling alter Holzmöbel für den Kinderbereich spezialisiert. „Angefangen hat das, als ich Möbel für das Kinderzimmer gesucht habe und eigentlich nicht das gefunden habe, was mir vorgeschwebt ist: schadstofffreie, nachhaltige, robuste Möbel, die mitwachsen können.“ Also hat sie sich selbst auf die Suche gemacht nach alten Holzmöbeln, die niemand mehr haben will, und sie mit viel Liebe und Sachverstand umgestaltet. „Zuerst war ich oft auf Flohmärkten, mittlerweile werde ich auch in alten Kellern, Dachböden usw. fündig, da ich im Weinviertel wohne und es hier viele Bauernhöfe gibt.“

Schaukelpferd im Kinderzimmer.
Schaukelpferd im Kinderzimmer.Beigestellt

Über zu wenige Aufträge kann sie sich nicht beklagen: „Ich könnte das Dreifache produzieren. Da ich aber alles selbst mache, sind meine persönlichen Ressourcen natürlich begrenzt.“ Sie freue sich sehr, dass diese Idee bei den Menschen auch ankommt. „Ich finde den Ansatz eines Zyklus des Wohnens, der Dinge, die man nutzt, sehr wichtig. Unsere Ressourcen sind begrenzt, und ich kann mit meiner Arbeit auch zu einem Denkanstoß für eine Wiederverwertung beitragen.“

Zweites Leben für Lattenroste

Auch ein ganz junges Start-up hat sich dem Social Design verschrieben: Studiolo, bestehend aus Thomas Maurer und Maximilian Klammer, produziert „Snorre“, einen Blumenständer aus alten Lattenrosten, den es in verschiedenen Größen gibt, jeder einzelne ein Unikat. „Die Idee hat sich aus Zufall ergeben, mittlerweile arbeiten wir mit der Volkshilfe und der Caritas Wien zusammen, in deren Werkstätten Snorre produziert wird. Die Lattenroste bekommen wir von der MA 48. Uns war wichtig, nicht nur die Nachhaltigkeit im Blick zu haben und so lokal wie möglich zu arbeiten, sondern auch den sozialen Aspekt einzubinden“, erläutern die beiden. Zurzeit wird Snorre über einen Webshop vertrieben. „Wir überlegen aber noch andere Einsatzmöglichkeiten für Snorre und möchten das Produkt auch über Pop-up-Shops anbieten.“

Links

Caritas Wien: www.caritas-wien.at

Gabarage: www.gabarage.at

Studiolo/Snorre: snorre.cc

Trash-Design: www.trashdesign.at

Urban Update: www.urbanupdate.at

Volkshilfe: www.volkshilfe.at

48er-Tandler: 48ertandler.wien.gv.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2022)

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