Hilfsaktion

Moldaus Angst vor dem Angriff auf Odessa

Tina mit zwei ihrer Kinder: Sie hofft, dass sie wieder nach Odessa kann.
Tina mit zwei ihrer Kinder: Sie hofft, dass sie wieder nach Odessa kann. Concordia Sozialprojekte
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In Tudora sind die Einschläge aus der ukrainischen Hafenstadt zu hören. Dennoch hoffen Flüchtlinge hier nahe der Grenze, dass sie bald wieder zurück können.

Tudora/Wien. Am vergangenen Sonntag waren es acht Raketen. Um sieben Uhr morgens waren die Einschläge aus Odessa bis hierher zu hören. „Die Menschen haben natürlich Angst“, erzählt Veronica Mocan. Die Menschen, das sind zum einen die Einwohner von Tudora, einem Dorf im äußersten Osten der Republik Moldau, etwa 50 Kilometer von der ukrainischen Hafenstadt entfernt. Zum anderen Flüchtlinge aus der Ukraine, um die sich Mocan als Leiterin des Multifunktionszentrums der Hilfsorganisation Concordia kümmert.

„Wir haben eine Frau, die mit drei kleinen Kindern und ihrer 80-jährigen Mutter hierher geflohen ist“, erzählt sie. Ihre zwei ältesten Söhne, 18 und 21 Jahre alt, durften nicht über die Grenze und sitzen bis heute in Odessa. Da sie noch keinen Wehrdienst geleistet haben, wurden sie noch nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Doch Mutter Tina sorgt sich trotzdem um sie. Immerhin hat sie zuletzt selbst schon den Krieg direkt miterlebt. „In der Nähe ihres Hauses hat es eine Explosion gegeben“, erzählt Mocan. Da habe die Frau beschlossen, zumindest mit den drei kleinen Kindern, zwei, vier und sieben Jahre alt, über die Grenze ins Nachbarland zu fliehen.

"Die Presse" hilft

Das Sozialprojekt Concordia unterstützt Flüchtlinge aus der Ukraine in Moldau, Bulgarien und Rumänien.

IBAN: AT28 3200 0000 1318 7893
„NOTHILFE UKRAINE“

www.concordia.or.at

Drei Tage musste sie in der Kälte an der Grenze ausharren. Die Kinder wurden krank. Doch am Ende schaffte sie es doch nach Tudora. „Sie ist sehr müde“, erzählt Mocan, „vor allem mental.“ Jeden Tag kommt sie ins Zentrum, hier bekommen sie und die Kinder etwas zu essen. Aber auch anderweitige Betreuung, etwa durch eine Psychologin, die der Familie hilft, die Situation zu verarbeiten.

Und auch wenn die Einschläge in ihrer Heimatstadt aus der Ferne immer wieder zu hören sind – weiter weg will die Frau nicht. „Sie fühlen sich hier zumindest sicher“, sagt Mocan. „Und sie hoffen, dass sie bald wieder zurück können.“ Doch dass die Lage sich beruhigt, danach schaut es derzeit nicht aus. Und die verbliebenen Verwandten raten den Geflüchteten auch ab, zu früh zurück in die Heimat zu kommen.

Flucht ins ärmste Land Europas

Als der Ukraine-Krieg begann, da standen Tausende Menschen an den Grenzübergängen nach Moldau, vor allem im nahen Palanca, aber auch in Tudora. An die 400.000 sind es, die bisher aus der Ukraine in das kleine Nachbarland geflohen sind. Der Großteil ist in andere Länder weitergezogen, aber rund 100.000 sind geblieben. Für ein kleines Land wie Moldau eine große Herausforderung. Noch dazu, weil man ökonomisch ohnehin auf schwachen Beinen steht, die Ex-Sowjetrepublik als ärmstes Land Europas gilt.

Erst am Dienstag wurden bei einer Geberkonferenz Hilfen in Höhe von 695 Mio. Euro für das Land beschlossen. Allein von Deutschland kommt ein Kredit über 50 Mio. Euro, dazu ein Unterstützungspaket von 40 Mio. Euro. Und auch Österreich sagte zehn Mio. Euro zu. Doch ob all das ausreicht, weiß man nicht. Bislang waren es vor allem private Initiativen, die sich um die Flüchtlinge aus der Ukraine kümmerten. So auch Concordia. Das Sozialprojekt mit Basis in Wien gilt als die größte Hilfsorganisation in Moldau. An sich kümmert man sich hier um vernachlässigte Kinder und alte Menschen. Doch mit Beginn des Ukraine-Kriegs schaltete man sich sofort in die Flüchtlingshilfe ein.

Kinder müssen ins Landesinnere

Veronica Mocan etwa machte große Mengen Placinta und brachte sie an die Grenze – das traditionelle Gebäck aus der Region sowohl für die Flüchtlinge als auch für die Helfer. Und man rüstete die Concordia-Zentren auf, um hier auch Flüchtlinge zu versorgen. Die Kinder aus grenznahen Zentren brachte man weiter ins Landesinnere, auch aus Sicherheitsgründen. Und etwa in Tudora teilte man die Einrichtung auf – am Vormittag werden hier Flüchtlinge betreut, am Nachmittag die Menschen aus der lokalen Community.

Viele Flüchtlinge kamen auch bei Familien in Moldau unter. „Die Stimmung war so, dass jeder jemanden aufnimmt, wo es geht“, sagt Tatiana Balta. Sie kümmert sich als Länderleiterin bei Concordia unter anderem auch darum, diese Familien zu unterstützen. Denn die bekommen vom Staat keinerlei Unterstützung dafür, dass sie die Menschen unterbringen. „Diese Familien haben viel Geld ausgegeben für Essen oder Holz zum Heizen. Dabei haben sie selbst finanzielle Probleme.“ Mit Essenspaketen und anderen Unterstützungen springt Concordia ein.

Und die Organisation hat in Tudora auch ein zweites Haus geöffnet, das man eigentlich schon verkaufen wollte. Hier hat man selbst einige ukrainische Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, untergebracht. Den Platz dafür hat man – doch fehlt es etwa an Betten. Auch Kühlschränke muss man noch besorgen. Vielleicht auch einen Fernseher, damit die Flüchtlinge die Nachrichten aus der Heimat verfolgen können. Und weil viele Flüchtlinge nur mit dem Gewand an ihrem Körper gekommen sind, braucht es auch Kleidung und Schuhe.

„Die Flüchtlinge haben auch Geld“, sagt Balta. Doch sind die ukrainischen Hrywnja nicht viel wert und können nur zu schlechten Kursen gewechselt werden. „Mit einem Monatsgehalt kann man zum Beispiel gerade einmal ein Paar Schuhe kaufen.“ Also springt man auch hier ein und hilft bei Einkäufen. Derzeit kommt die Organisation halbwegs durch, doch die Preise steigen, „und wir wissen nicht, wie die Situation nächsten Monat sein wird“, meint Balta. Das Holz zum Heizen für den nächsten Winter? Das ist sowieso noch ein Fragezeichen.

Und dann ist da auch immer noch die Angst, dass der Krieg auf Moldau übergreifen könnte. Dass nach einem Fall von Odessa russische Truppen auch gleich über die Grenze einmarschieren. „Momentan können wir nur warten“, meint die Concordia-Länderleiterin. „Aber was auch passiert, wir sind bereit zu helfen. Das ist unsere Mission.“

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