Pablo Picassos Bild „Guernica“: Eine weltberühmte Antikriegsikone und ein universelles politisches Symbol aus dem Jahr 1937.
Kriegsverbrechen

Der Schock der Bilder: Wir und der Krieg

Manchmal erlauben uns Bilder vom Krieg eine Identifikation mit den Opfern. Sie vermitteln uns das Gefühl zu wissen, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht – und dass keiner mehr ab diesem Zeitpunkt zur Tagesordnung übergehen kann.

Es gibt Ereignisse, die zu historischen Wendepunkten werden, weil sie Not und Elend in einem Ausmaß sichtbar machen, dass niemand gleichgültig zur Tagesordnung übergehen kann. Bei der Flüchtlingskrise von 2015 war es das Bild eines syrischen Kleinkinds, das tot im Sand an der Küste von Bodrum lag. Es ging vielen nicht mehr aus dem Kopf. Nicht mehr von Schein- oder Wirtschaftsflüchtlingen war dann die Rede, sondern von im wahrsten Sinne gestrandeten Menschen an der Grenze zu Europa. Kurzfristig stiegen die Hilfsbereitschaft und der Druck, mit den Flüchtlingen menschenwürdig umzugehen. Es mag ein menschlicher Zug sein, dass die Betroffenheit durch Bilder mit der Zeit nachlässt, doch sie können auch langfristig empathische Reaktionen hervorrufen, die zu Solidarität führen.

Das gilt auch für die Bilder aus dem Krieg, wie wir sie in dieser Woche aus dem Kiewer Vorort Butscha sehen mussten: Massengräber und tote Zivilisten auf der Straße. Genau genommen war es nur ein kleiner Ausschnitt aus einem schrecklichen Geschehen, doch es führte zu Reaktionen in der Verurteilung des russischen Feldzugs, die bis dahin nicht zu hören waren: Von Genozid und Vernichtungskrieg war erstmals die Rede und härtere Reaktionen wurden gefordert.

In historischen Zeiten mag die Öffentlichkeit ihren Blick auf die Kämpfe, die Schlachten, Siege und Niederlagen gerichtet haben. Uns schockieren die unschuldigen Opfer des Krieges, die in Form von Hunger, Mord, Vergewaltigung, Versklavung oder Deportation ihren Preis für imperiale Aggression zu zahlen haben. Die Gewalt von Bodentruppen, wie sie abseits der Hauptkriegsschauplätze und jenseits des großen Kampfgeschehens verübt werden, die endemische Verachtung des Kriegsrechts und jedes soldatischen Ethos schockiert uns mehr als die Planungen in den Hauptquartieren und strategischen Schaltstellen.

Die Tötung von Zivilisten ist natürlich keine russische Erfindung. Krieg kommt nie freundlich daher und lässt Zivilisten keine Wahl, ob sie hineingezogen werden wollen oder nicht. Unbeteiligte Menschen absichtlich zum Ziel zu erklären, gehört seit jeher zu den Taktiken der Kriegsführung. Die deutsche Wehrmacht hinterließ bei ihrem Rückzug aus Russland so wie jetzt die Soldaten vor Kiew „verbrannte Erde“, und die USA zerbombten im Vietnam-Krieg Siedlungen mit Zivilisten.

Die unschuldigen Opfer waren in der Geschichte manchmal, um den furchtbaren Begriff der Militärstrategen zu verwenden, „Kollateralschäden“. Aber häufig wurden sie ganz bewusst zum Ziel, um den Feind zu schwächen. Für gewöhnlich starben die Schwachen – Kinder, Alte, Arme – als Erste. Sie mussten furchtbar leiden, wenn sie in der Nähe von Schlachtfeldern oder in einer belagerten Stadt lebten.

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