„Buddenbrooks“ von Nesterval

So geht Theater nahe: Mit Strichern im Separee

Mutter Gerda Buddenbrook (Laura Hermann) und ihr Sohn Hanno (Willy Mutzenpachner)
Mutter Gerda Buddenbrook (Laura Hermann) und ihr Sohn Hanno (Willy Mutzenpachner)(c) Alexandra Thompson
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Das auf immersives Theater spezialisierte Wiener Kollektiv überträgt Thomas Manns Familiensaga ins anrüchige Pratermilieu. Eine sinnliche Erkundung von Möglichkeiten – und das Publikum ist mittendrin.

Und dann sitzt man plötzlich im Separee mit einem Stricher, der sich auszieht, einem mit sanfter Hand die Schuhe abstreift und fragt, wie er denn nun dienen kann. Wie ist man da gelandet? Gerade war man doch noch zwischen Autodrom und Festtafel, zwischen ekstatisch tanzenden Leuten und verschwörerisch tuschelnden Figuren, in diesem mit kaltem Rauch gefüllten Etablissement namens Buddenbrooks im Wiener Prater.

Die Buddenbrooks heißen hier mit Nachnamen Nesterval – und sie betreiben keinen Getreidehandel, sondern Schießbuden, Glücksspielhallen und einen Nachtklub mit Bordell. Auch Körper sind eine Ware, von denen sich eine Familie Glück und Wohlstand erhoffen kann. „Dominus providebit“ ist bei Thomas Mann über der Haustür der Lübecker Buddenbrooks-Residenz in die Fassade gemeißelt: „Der Herr wird vorsorgen.“ Im Prater prangt nun „Domina providebit“ als Motto unter dem Lokallogo. „Wir verkaufen Träume“, heißt es hier gern.

Theater als Grenzerfahrung: Den Anspruch, seinem Publikum richtig nahezugehen und in den Köpfen nachhaltig etwas auszurichten, erhebt Theater ja gern. Eine Truppe, der das mit Regelmäßigkeit gelingt, ist das queere Wiener Kollektiv Nesterval. Das zeigt auch die aktuelle Produktion „Sex, Drugs & Buddenbrooks“, die ursprünglich für einen Hamburger Nachtklub ersonnen wurde und nun, als Kooperation mit dem Brut Wien, in einer lang leer stehenden Praterparzelle gespielt wird (ausverkauft, aber es gibt eine Zusatzvorstellung am 26. 5., für die Tickets versteigert werden). Literarische Vorlage ist Thomas Manns Familienepos, dessen Figuren lustvoll in das Vergnügungsmilieu übertragen wurden. Stammhalter Thomas (Martin Walanka) ist jetzt Präsident des Praterverbands, aus der Ziehtochter Klothilde wurde der Kiffer-Claude (Nesterval-Leiter Martin Finnland), und die Titten-Toni (Romy Hrubeš in Lackmontur) findet es traurig, dass man nur ein Mal lebt. Sie würde gern noch einmal alles anders machen. Wird dann auch alles anders?

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