Kohle

Energie auf Kosten indigener Völker?

Deutschland sucht Ersatz für russische Kohle und wurde in Kolumbien fündig.
Deutschland sucht Ersatz für russische Kohle und wurde in Kolumbien fündig.(c) AFP via Getty Images (LUIS ROBAYO)
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Die G7 bekennen sich zum Kohleausstieg, aber der Krieg könnte ihn verzögern. Berlin will mehr Kohle aus Kolumbien importieren. Die größte Mine dort hat einen besonders schlechten Ruf.

Die sieben größten Industriestaaten der Welt haben sich erstmals zu einem Abschied von der klimaschädlichen Kohlekraft bekannt. Die Energie- und Klimaminister der G7 versprachen am Freitag im Abschlussdokument ihres Berliner Treffens konkrete Schritte für ein Aus der Kohleverstromung. Zudem müsse der gesamte Energiesektor bis 2035 überwiegend CO2-frei sein. Der deutsche Klimaminister, Robert Habeck, hatte vor dem Treffen gesagt, er hoffe auf eine Vorreiterrolle der G7 beim Kohle-Abschied.

Soweit das Bekenntnis. Die Realität sieht derzeit freilich ganz anders aus. So veranlasst der russische Angriffskrieg in der Ukraine etwa die deutsche Bundesregierung dazu, zumindest kurzfristig an Kohle festzuhalten. Weil die EU einen Importstopp für Kohle aus Russland verhängt hat, Kohle aber immer noch einen Anteil von neun Prozent am deutschen Strommix hat, sucht Berlin nach Alternativen für russische Kohleimporte und ist dabei auch in Kolumbien fündig geworden. Nach Russland, den USA und Australien war Kolumbien bereits 2021 das viertwichtigste Herkunftsland für Kohle in Deutschland mit einem Anteil von 5,7 Prozent an allen Steinkohle-Importen. Gut 2,3 Millionen Tonnen Steinkohle kamen insgesamt von dort. Heuer sind die Importe aus Kolumbien im Vergleich zum Vorjahr bereits deutlich gestiegen.

Mit kolumbianischer Kohle kauft Berlin allerdings ein moralisches Dilemma gleich mit ein. Denn zunächst einmal ist Kohle mit Blick auf die CO2-Emissionen weit dreckiger als etwa Erdgas – Kohle mag die Energiesicherheit garantieren, aber auf Kosten des Klimas. Der Kohleabbau in Kolumbien steht zudem im Ruf, wiederholte Menschenrechtsverletzungen zu begehen und Umweltstandards nicht einzuhalten.

Der größte Steinkohletagbau Lateinamerikas erstreckt sich auf 690 Quadratkilometer. Es ist die Mine El Cerrejón im Norden Kolumbiens. 23,4 Millionen Tonnen Kohle förderte der Schweizer Konzerns Glencore dort im vergangenen Jahr. Die gesamte Menge geht in den Export – künftig möglicherweise auch vermehrt nach Deutschland. Vor Kurzem telefonierte der deutsche Bundeskanzler, Olaf Scholz (SPD), deshalb mit dem kolumbianischen Präsidenten, Iván Duque. Kolumbien prüfe die Möglichkeit, die Kohle-Exporte nach Deutschland zu erhöhen, um dessen Energiesicherheit zu stärken, hieß es in einer Mitteilung des Präsidialamtes des Landes.

Konkurrenz um Wasser

Ohne Zweifel werde die Entscheidung der deutschen Regierung negative Folgen für die Rechte der indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften von La Guajira haben, sagt die Koordinatorin des Menschenrechtsprogramms der Nichtregierungsorganisation Cinep, Jenny Paola Ortiz.

Viele Indigene mussten wegen der sich ausbreitenden Mine schon ihre Heimatorte verlassen. In der Halbwüste von Guajira verbraucht sie täglich 24 Millionen Liter Wasser – genug, um 150.000 Menschen zu versorgen. 17 Flüsse und Bäche sind bereits verschwunden, rund 30 wurden umgeleitet. Das jüngste Beispiel: 2016 veränderte Cerrejón den Lauf des Bachs Bruno, damit die Mine vergrößert und die Förderung erhöht werden konnte.

Der Bach Bruno ist eine der wenigen Wasserquellen, die den Indigenen bleibt, sagt Luís Misael Socarrás von der indigenen Gruppe der Wayuu. Ihn umzuleiten bedeutet den Tod für Hunderte Menschen. Der Bach Bruno ist zudem ein heiliger Ort für afrokolumbianische und indigene Gemeinschaften, Dutzende Heilpflanzen wachsen nur dort.

Er selbst wurde zuletzt von bewaffneten Männern auf Motorrädern bedroht. Sie hätten sein Haus und das seiner Mutter umstellt und nach ihm gesucht, sagt Socarrás. „Und all das wegen unseres Kampfes gegen Cerrejón.“

Nach einer Klage ordnete das Verfassungsgericht 2017 zwar an, den Bach wieder zu renaturieren. Geschehen ist allerdings bis heute nichts. Im April schließlich hieß es von einer Arbeitsgruppe aus verschiedenen Institutionen, darunter das Umweltministerium, dem Urteil sei nachgekommen worden – und der Fall wurde ad acta gelegt.

Die Indigenen kritisierten allerdings, dass sie nicht beteiligt wurden. Die Wayuu-Anführerin Laura Brito sieht auch die Konsumenten in Europa in der Verantwortung. Die internationale Gemeinschaft sollte darüber nachdenken, woher die Kohle kommt, mit der ihre Häuser beleuchtet und geheizt werden, sagt sie. Angesichts der Menschenrechtsverletzungen rund um die Mine spricht Cinep-Koordinatorin Ortiz von blutiger Kohle. Cerrejón weist die Vorwürfe zurück. Das Unternehmen verweist auf seine Maßnahmen unter anderem zum Wasser- und Luftmanagement und zur Einhaltung der Menschenrechte.

Schmutziger Wirtschaftsmotor

Cerrejón ist mit Tausenden Mitarbeitern der wichtigste Arbeitgeber in der armen Region La Guajira. Viele sind trotz des schwarzen Staubs, des verschmutzten Wassers und womöglich durch den Kohle-Abbau verursachter Krankheiten für die Mine. Die Regierung setzt auf den Export von Rohstoffen als Motor für mehr Wachstum, während zwei Drittel der eigenen Energie aus Wasserkraft stammen. Der linke Präsidentschaftskandidat, Gustavo Petro, der vor dem ersten Wahlgang am Sonntag führt, möchte die Ölförderung bremsen. Die ihm zufolge drei wichtigsten Exportprodukte Kolumbiens – Kohle, Öl und Kokain – bezeichnete er als Gifte.

Wer sich Wirtschaftsinteressen in den Weg stellt, lebt in Lateinamerika und besonders in Kolumbien gefährlich. Die Gewalt geht der Nichtregierungsorganisation Global Witness zufolge vor allem von ehemaligen Paramilitärs, Dissidenten der Guerillaorganisationen und den staatlichen Sicherheitskräften aus. 65 Naturschützer und Umweltaktivisten wurden in dem Land 2020 getötet. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2022)

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