Wien-Premiere

Wiener Festwochen: Darf man noch die Musik von Michael Jackson anhören?

Sarah Mainwaring vom australischen "Back to Back Theatre"
Sarah Mainwaring vom australischen "Back to Back Theatre"Zan Wimberley
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Gastspiel des „Back to Back Theatre" aus Australien. Eine intensive Stunde mit so vielen offenen Fragen zu Ex- und Inklusion, inklusive Plädoyer für Toleranz.

„In einem Gemeindesaal in Australien“, steht auf Übertiteln im Theater Akzent. Zwei Stimmen aus dem Dunkel fragen, ob es angebracht sei, jemanden anzufassen. Am Unterleib. „Dein eigenes Schlafzimmer ist eine Privatzone. Dort kannst du dich berühren“, sagte eine. Es wird hell. Ein Schauspieler, eine Schauspielerin betreten die Bühne, rollen Sessel herein, stellen sie in einer Reihe auf, setzen ihr Gespräch über sexuelle Belästigung fort, über Einverständnis, Liebe, Übergriffe.

Sie kleben ein gelbes Band auf den Boden, wie als Grenze zum Festwochen-Publikum, das aber immer wieder einbezogen wird. Mit ihm reden sie, als ob es schwer von Begriff sei. Ein überraschender Perspektivenwechsel – Scott Price, Sarah Mainwaring, und Chris Hansen, der bald dazukommt, sind nämlich Menschen mit Handicaps; Autismus, Sprachstörung, Kopfverletzung. Sie tun sich zwar schwer beim Artikulieren, drehen aber den Spieß um. Wer sagt denn, dass die auf der anderen Seite der gelben Grenze normal sind? Wer bestimmt das?

Normen sind willkürlich. Das sickerte in der einstündigen Aufführung (Regie: Bruce Gladwin) mit wachsender Intensität durch. Bei der Wiener Premiere von „The Shadow Whose Prey the Hunter Becomes“ wurde am Mittwoch die Relativierung diverser Vorurteile eindrücklich vermittelt. Zugleich gab es ein starkes Plädoyer für mehr Toleranz. Das Back to Back Theatre aus Geelong ist mit diesem Stück seit Herbst 2019 auf Tour und macht damit unser aller Welt hoffentlich ein bisschen besser. Bis zu fünf Darsteller treten auf, hier sind es drei. So gewinnt der Abend offenbar an Fokussierung.

Siri kontrolliert mit sanfter Stimme

Neben dem Trio gibt es noch einen Akteur – Siri, ein Programm, das mit sanfter Stimme und doch mit Nachdruck die Kontrolle übernehmen will. Werden wir ihr bald alle hilflos ausgeliefert sein? Es tadelt, wenn Kraftausdrücke fallen, ergreift Partei. Denn die drei sind zuweilen bereit zum Streit. Vor allem der bullige Scott neigt zu Aggression. Nachdem er mit Sarah einen Styropor-Block herangeschleppt und mit ihr hochgewuchtet hat, stellt er sich auf ein Gestell und nutzt ihn als Rednerpult. Er agiert wie ein Bürgermeister, spricht über Ausbeutung von Arbeit, Missbrauch, Kirche und Industrie.

Namen von Prominenten fallen, von Filmstars und bösen Produzenten, die diverser Übergriffe angeklagt wurden. Darf man noch die Musik des verstorbenen Pop-Megastars Michael Jackson anhören, der einst des Kindesmissbrauchs verdächtigt wurde? „Wahrscheinlich doch,“ hört man.

In der Gruppe geht es manchmal recht rabiat zu, zumindest verbal. Warum denn nicht? Das ist doch „normal“. Gehört zur Selbstermächtigung. Die Männer messen immer wieder ihre Kräfte, in Wortgefechten. Aber was ist mit Sarah, der man ihre Defizite sofort ansieht? Hätte sie nicht, wie anfangs ausgemacht, die Gruppe leiten sollen? Scott würdigt sie herab, entschuldigt sich dann aber auch. „Ich mag dich“, sagt er, als sie am Ende aufgeräumt haben und abgehen, ehe es wieder dunkel wird. Herzlicher und lang anhaltender Applaus.

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