Morgenglosse

Eine massive Kopfwäsche für Boris Johnson

APA/AFP
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Die eigene Fraktion mahnte den britischen Premier in der Partygate-Affäre ab. Er wendet das Misstrauensvotum ab, die Tories geben ihm noch eine letzte Chance - und signalisieren ein Ende der Spielchen.

„Ich kann verkünden, dass die Parlamentspartei Vertrauen in den Premierminister hat“, sagte Graham Brady, der Vorsitzende der Hinterbänkler-Fraktion in Westminster, als der Zeiger von Big Ben am Montagabend auf 21 Uhr vorrückte. Nicht mehr, nicht weniger. Doch die Tories haben Boris Johnson eine massive Kopfwäsche verpasst, die die Haare noch zerzauster als üblich hinterlässt. Für ihn war es womöglich ein Pyrrhussieg. Das weiß er wohl selbst am besten, auch wenn er wieder einmal demonstrativ Zuversicht verströmte, dass nun alles besser werden würde.

Wie oft hat Johnson dies schon lauthals angekündigt? Wahrscheinlich zu oft. Vielleicht hat er die Langmut der Briten zu sehr strapaziert. Definitiv in der leidigen Partygate-Affäre, die er längst überwunden wähnte – in Zeiten, in denen er sich beinahe in der Manier Winston Churchills, seines großen Idols, als Kriegs- und Krisenpremier inszenierte. Noch am Vormittag hat er mit Wolodymyr Selenksij telefoniert und versprach dem ukrainischen Präsidenten Mehrfachraketenwerfer wie die USA. Danach empfing er Kaja Kallas, die estnische Premierministerin, in Downing Street 10. Boris Johnson, der Regierungschef, der Weltpolitik betreibt.

Buhrufe beim Queen-Jubiläum

Business as usual also. Nicht so ganz, wie 148 Tory-Abgeordnete in der 359-köpfigen Fraktion fanden, die ihrem Premier das Vertrauen entzogen. Die Partygate-Affäre während des strikten Corona-Lockdowns, das ständige Herunterspielen, das Verwischen und Ironisieren, das Messen mit zweierlei Maß und die Sündenbock-Suche bei anderen hat so viel Unmut im Königreich erregt, dass ihn viele Londoner beim Besuch eines Gottesdiensts auf den Stufen der St. Paul’s Cathedral im Zuge des vorwöchigen Thronjubiläums ausbuhten – ein Signal für die internen Johnson-Gegner.

Bisher hatten die Briten dem gewohnheitsmäßigen Clown und Stand-up-Comedian alles durchgehen lassen – wie Jahrzehnte zuvor die Lehrer dem Schüler im Nobelinternat Eton. Doch die Zeiten sind ernst, und das Land sehnt sich nach Führung, Orientierung und Haltung – und nicht unbedingt nach Gags und Witzchen. Und auch seine Partei meint es todernst. 1990 haben die Tories Margaret Thatcher nach elf Jahren in einer Palastrevolte abmontiert, 2018 stützten sie Theresa May nur noch halbherzig während der Brexit-Turbulenzen, bis sie ein halbes Jahr später zermürbt aufgab. Johnson intrigierte damals ganz offen gegen die glücklose Premierministerin, um sein großes Lebensziel zu erreichen – das Amt in der Downing Street.

Ein Jahr ist Johnson jetzt gegen ein formelles Misstrauensvotum in seiner Partei gefeit. Sollten die Konservativen in wenigen Wochen die Nachwahlen in zwei Wahlkreisen verlieren, wird das Geheul gegen den Regierungschef jedoch von Neuem losgehen. Der Premier ist angeschlagen. Nicht auszuschließen, dass er die Stimmung zu drehen vermag. Noch glaubt eine Mehrheit der Tory-Abgeordneten, nur Johnson sei in der Lage, sie in zwei Jahren zu einem neuerlichen Wahlsieg zu führen. Wenn er indes nicht über den Sommer seinen Fokus findet und seriöse Politik betreibt, wird er bald sehr viel Zeit für sein Hobbyprojekt haben – eine Biografie über William Shakespeare.

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