ÖVP: Mutlos in die neuen bildungspolitischen Zeiten

Das Bildungsprogramm der Volkspartei ist ein netter Versuch. Dumm nur, dass es die wichtigste Frage, nämlich jene einer gemeinsamen Schule, auslässt.

Josef Pröll hat es gut gemeint. Vor allem mit sich selbst. Als er vor zwei Wochen mit ÖVP-Landeshauptleuten vor die Presse trat und eine Verschiebung der Bundeslehrer zu den Ländern forderte, wollte er zweierlei demonstrieren: Geschlossenheit in der Partei. Und die bildungspolitische Vorreiterrolle seiner Partei – und seiner Person, vor allem.

Und dann das. Jetzt legen dem Parteichef und dem durch das Budget sowie Irland schwer angeschlagenen Finanzminister „seine“ Bildungspolitiker ein Zukunftsprogramm – Titel: „Der neue Bildungsweg“ – vor, das so zukunftsträchtig nicht ist. Denn die große Frage – Zusammenführung aller Schüler mit zehn? – wird bestenfalls angetupft, aber nicht nachhaltig beantwortet. „Volle Durchlässigkeit“ zwischen Hauptschule („Mittelschule“) und AHS-Unterstufe soll es künftig geben. Doch wie genau die erzielt werden soll, bleibt offen. Durchlässigkeit gibt es aber schon jetzt: für Hauptschüler in ersten Leistungsgruppen, die zumindest theoretisch auch jederzeit an Gymnasien willkommen sind.

Mut sieht anders aus. Das Bildungsprogramm einer Regierungspartei 2010 muss einfach ambitionierter sein. Zu drängend sind die vielen Fragen, die ein marodes Bildungssystem wie das österreichische aufwirft. Dazu bräuchte es keine PISA-Studie, die uns am kommenden Dienstag wieder schmerzlich vor Augen führen wird: Unser Bildungssystem ist sauteuer, aber es wirkt einfach nicht. Jetzt nicht und auch weiterhin nicht, wenn ÖVP und SPÖ nicht endlich bildungspolitische – eigentlich: ideologische – Barrieren niederreißen statt neue aufzuziehen wie die „Verschiebung“ der Lehrer.


Warum die ÖVP so feige ist, das Thema „Gesamtschule“ nicht näher zu behandeln? Weil die Gesamtschule in der Öffentlichkeit als ziemlich unschick gilt, weil die ÖVP selbst Jahr und Tag gegen die „Eintopfschule“ gewettert hat. Da halfen auch differenzierte Zwischenrufe aus der Steiermark oder von ÖVP-Wissenschaftsministerin Beatrix Karl nichts. Und weil es auch gute Gründe geben mag, weiterhin zu differenzieren, wie die notwendige Förderung für Eliten. Hier macht die ÖVP mit ihrem Programm einen ersten Schritt: Sie will „High Potential Groups“ für Hochbegabte. Warum dann nicht den zweiten Schritt gehen und klar Position zur Gesamtschule beziehen, innovative Lösungen anbieten? Wenn sich schon das Zweigestirn Gymnasium/Hauptschule nicht sprengen lassen sollte.

Fakt ist, dass zu viele 14-Jährige, gerade aus Migrantenhaushalten, in einer Lehre landen, obwohl sie genauso gut die Uni-Reife erreichen könnten. Würden sie nur richtig gefördert. Ja, an diesem zweiten Knackpunkt des Bildungssystems – bei den Migranten – will die ÖVP schon früh ansetzen. Mit verpflichtender Sprachförderung am Nachmittag schon im letzten Kindergartenjahr, wenn Defizite bestehen; mit einem verpflichtenden Vorschulbesuch ab sechs für die, die nicht Deutsch können. Wobei: Kann das die Lösung sein? Migrantenkinder erst ein Jahr später an die Schule zu lassen, selbst wenn sie hochintelligent sind? Besser wäre es, die Sache vorzuziehen. Wie wäre es damit, ein verpflichtendes „Sprachjahr“ für all jene, die nicht Deutsch können, zwischen fünf und sechs abzuhalten – also bereits auf Kindergarten-Niveau? Dann würde man den Migranten wenigstens nicht unnötig ein Lebensjahr rauben.


Aber hier stolpert die ÖVP schon wieder in ihre eigene Falle: die des föderalen Systems, das ihr und ihren Organisationen so lieb und teuer ist. Denn käme das „Sprachjahr“ noch vor der Volksschule, also im Kindergarten, müssten die Länder und auch Gemeinden zahlen. Die Länder zahlen zwar auch für die Vorschullehrer, sie bekommen das Geld dafür aber vom Bund zurück. Wäre das verpflichtende „Sprachjahr“ bereits Sache der Kindergärten, würde das Thema „Geld“ nur komplizierter.

Wie die ÖVP dem Thema „Kosten“ in ihrem Bildungspapier überhaupt großräumig ausweicht. Alles, was mehr kostet – und das würden Förderstunden ganz sicher, bei allem volkswirtschaftlichen Nutzen –, wäre Josef Pröll, dem Finanzminister, sicher nicht sehr angenehm. Zum bildungspolitischen Vorreiter macht das neue Papier ihn – und seine Partei – so aber leider nicht.

E-Mails an: regina.poell@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

oeVPBildungspapier Selbstkritik gespaltene Opposition
Schule

ÖVP-Bildungspapier: Selbstkritik und gespaltene Opposition

Der Vorstoß gegen das Sitzenbleiben findet Anklang, jener gegen die Gesamtschule ist umstritten. In der ÖVP heißt es jetzt, das vorliegende Bildungspapier könnte in Details noch abgeändert werden.
ÖVP: Sprachtests und kein Sitzenbleiben
Schule

ÖVP-Bildungspapier: Sprachtests und kein Sitzenbleiben

Neues Bildungsprogramm der ÖVP. Die Partei will Sechsjährige, die nicht Deutsch können, in die Vorschule schicken. Die Sprachförderung soll ausgebaut, eine „Mittlere Reife“ an Hauptschulen eingezogen werden.
Schule

AHS-Lehrerchef wirft Ministerium "Rechtsbruch"vor

Der neue AHS-Lehrergewerkschafter Eckehard Quin will, wie er im Gespräch mit der "Presse" sagt, weiter gegen die Gesamtschulmodelle kämpfen. Das Bild des Lehrers in der Bevölkerung ist für ihn nocht immer gut.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.