Zinserhöhung

Die Inflationsangst geht um - auch nach den Zinsschritten

Fed-Chef Jerome Powell verkündete am Mittwoch einen ungewöhnlich hohen Zinsschritt.
Fed-Chef Jerome Powell verkündete am Mittwoch einen ungewöhnlich hohen Zinsschritt. (c) APA/AFP/OLIVIER DOULIERY (OLIVIER DOULIERY)
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Mit der Anhebung um 0,75 Prozentpunkte wagt die Fed eine Gratwanderung. Auch andere Zentralbanken sind ihrem Beispiel gefolgt.

Washington. Jetzt ist er also da, der mit Spannung erwartete, größte Zinsschritt der US-Notenbank Fed seit 1994. Am Mittwochabend erhöhte sie ihren Leitzins um 0,75 Prozentpunkte. Von manchen Beobachtern war das genauso erwartet worden – so hatten zuletzt auch Ökonomen von JP Morgan, Goldman Sachs und Nomura einen Zinsschritt in dieser Höhe prognostiziert und sich damit ihren Kollegen von Barclays und Jefferies angeschlossen. Mehrheitlich waren die Analysten allerdings von einer etwas geringeren Erhöhung von etwa 0,50 Prozentpunkten ausgegangen.

Am Donnerstag folgten dann weitere Zinsschritte anderer Zentralbanken: Wie von Analysten erwartet, verkündete die Bank of England eine Erhöhung um 25 Basispunkte. Und bereits am Donnerstagmorgen hatte die Schweizer Notenbank überraschend eine Anhebung um 50 Basispunkte bekannt gegeben.

Und wie reagierten die Börsen? Fast könnte man sagen: mit business as usual. Die Entschlossenheit der Notenbank im Kampf gegen die Inflation kam zwar an der Wall Street in einer ersten Reaktion gut an. Die Hoffnung, dass auch die europäischen Börsen mit kleinen Gewinnen in den Tag danach starten könnten, verpuffte jedoch rasch. Schon am Donnerstagvormittag zeigte sich das seit Tagen gewohnte Bild – es ging weiter bergab. Die Inflations- und Konjunkturängste, die seit Längerem die Stimmung an den Börsen prägen, stehen auch weiterhin im Vordergrund.

Schwächeres Wachstum

Aber zurück zum US-Leitzins: Dieser liegt nun in der Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent, wie die Fed am Mittwoch mitteilte. Es ist die dritte Erhöhung des Leitzinses seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie – und der erste Anstieg um 0,75 Prozentpunkte seit 1994. Für gewöhnlich zieht es die Fed vor, den Leitzins in Schritten von 0,25 Prozentpunkten anzuheben. Im März rechneten die Entscheider der Fed zum Jahresende im Mittel noch mit einem Leitzins von 1,9 Prozent. Nun gehen sie von 3,4 Prozent in diesem Jahr und sogar 3,8 Prozent im kommenden Jahr aus.

Die Fed sagt außerdem in diesem Jahr ein deutlich geringeres Wirtschaftswachstum als noch vor drei Monaten angenommen voraus: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der weltgrößten Volkswirtschaft soll demnach um 1,7 Prozent wachsen. Das wären 1,1 Prozentpunkte weniger als noch im März prognostiziert.

Die US-Notenbank rechnet für heuer auch mit einer höheren Inflationsrate als zuvor angenommen. Die Teuerungsrate soll demnach durchschnittlich bei 5,2 Prozent liegen.

Entsprechend groß ist der Druck, der auf der Notenbank lastet: Die Teuerungsrate in den USA ist so hoch wie seit rund vier Jahrzehnten nicht mehr, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert. Durch die Erhöhungen des Leitzinses verteuern sich Kredite, was die Nachfrage schwächt. Das hilft zwar dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum. Für die Notenbank ist es daher ein Balanceakt: Sie will die Zinsen so stark anheben, dass die Inflation ausgebremst wird – aber ohne Konjunktur und Arbeitsmarkt abzuwürgen und eine Rezession auszulösen.

Wegen der Coronakrise hatte die Fed ihren Leitzins auf nahe null gesenkt und Konjunktur und Finanzmärkte mit umfangreichen Notprogrammen gestützt. Die gestiegene Inflationsrate bezeichnete sie im vergangenen Jahr als „vorübergehenden“ Effekt infolge der Pandemie. Gegen Jahresende leitete sie jedoch die Abkehr von ihrer ultralockeren Geldpolitik ein. Im März erhöhte sie den Leitzins erstmals seit der Pandemie um 0,25 Prozentpunkte. Im Mai folgte angesichts der hohen Inflationsrate ein Anstieg um 0,5 Prozentpunkte, das war die stärkste Anhebung seit 22 Jahren.

Vieles ist nicht beeinflussbar

Vor der Sitzung vom Mittwoch hatten die Entscheider der Fed zunächst signalisiert, es sei erneut mit einem Anstieg um 0,5 Prozentpunkte zu rechnen. Daten aus der vergangenen Woche zeigten jedoch, dass die Verbraucherpreise im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat um 8,6 Prozent gestiegen waren. Das war der höchste Wert seit 1981. Zudem deuteten neue Erhebungen darauf hin, dass Verbraucher auch künftig mit weiter steigenden Preisen rechnen. Die Daten haben den Druck auf die Fed erhöht, weil die von ihr mittelfristig gewünschte Inflationsrate von zwei Prozent damit in immer weitere Ferne rückt.

Mit der Anhebung des Leitzinses um 0,75 Prozentpunkte hat die Fed nun ein klares Signal ausgesendet. Freilich kann die US-Notenbank manche Ursachen der Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten, aber auch steigende Energiepreise reagieren nicht direkt auf den US-Leitzins. Auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Corona-Lockdowns in China kann die Fed nicht kontrollieren.

Die hohe Teuerungsrate sorgt indes auch im Weißen Haus für Kummer: Viele Wähler machen Präsident Joe Bidens Regierung dafür verantwortlich. Grob gesagt: Je höher die Preise, desto mehr fallen Bidens Umfragewerte. Das macht dem Präsidenten und den Demokraten zu schaffen, denn sie bemühen sich bei der Kongresswahl im November, ihre knappen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern zu verteidigen. (APA/dpa/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2022)

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