Verbale Aggression und Gewalt sind Forschungsschwerpunkte von Oksana Havryliv. Anhand der russischen Sprache zeigt sie deren politische und aktuell kriegstreibende Dimension auf.
Aggression treibt mitunter seltsame Blüten. So schien es manchen bizarr, als Wladimir Putin im Mai 2014, auf dem Höhepunkt der ersten Invasion in die Ostukraine, einen Gesetzesbeschluss unterzeichnete, der das Verbot von „Mat“ – einer spezifisch russischen Form der Vulgärsprache – in Massenmedien, Literatur, Film und Theater anordnete (siehe Lexikon). Hatten die Duma-Abgeordneten und der Präsident angesichts der Annexion der Krim und bereits Hunderter ziviler Opfer im Donbass keine anderen Sorgen, als die sprachliche Freiheit in der Kultur einzuschränken?
Von physischer Gewalt ablenken
Für die Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv folgte der damalige Akt der Zensur durchaus einer gewissen Logik. „Das Verbot stellt verbale Aggression über die physische, wodurch die Aufmerksamkeit von der physischen Gewalt abgelenkt wird.“ Havryliv wurde im ukrainischen Lviv als Germanistin ausgebildet. Seit 2012 an der Universität Wien tätig, befasst sie sich, unter anderem gefördert vom Wissenschaftsfonds FWF, mit den Ausdrucksformen verbaler Aggression und verbaler Gewalt, sowohl im Deutschen als auch in ihrer Erstsprache Ukrainisch und im Russischen, mit dem sie als Kind der Sowjetzeit aufgewachsen ist. In einem sehr persönlichen Beitrag im „Spectrum“ der „Presse“ („Sei verflucht! Verrecke! Krepiere!“, 19. März 2022) ging sie auf Verwünschungen und Beschimpfungen ein, die ihren Landsleuten in den ersten Kriegstagen halfen, die Geschehnisse zu verarbeiten. In ihren wissenschaftlichen Aufsätzen widmet sie sich auch der Gewaltrhetorik der Gegenseite.