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Massaker in Chicago: Das Grauen am Independence Day

Ein verlassenes Kinderfahrrad, Roller und leere Stühle nach dem Attentat in Highland Park, Chicago.
Ein verlassenes Kinderfahrrad, Roller und leere Stühle nach dem Attentat in Highland Park, Chicago. REUTERS
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Mit einem Massaker am Nationalfeiertag erleben die Amerikaner die dritte große Gewaltorgie in wenigen Wochen. Es heizt die Debatte über Waffen weiter an.

Chicago/Wien. Es hätte ein Tag der Einheit werden sollen in einer tief gespaltenen Nation. Am 4. Juli, dem Tag der Unabhängigkeit, vergessen die Menschen in den USA für gewöhnlich politische Grabenkämpfe und gesellschaftliche Ungleichheiten. Sie feiern ihr Land – mit pompösen Paraden und Familien-Picknicks im Zeichen der blau-weiß-roten Flagge. In diesem Jahr aber verwandelte sich das Fest der amerikanischen Demokratie in einen amerikanischen Albtraum.

In Highland Park, einem wohlhabenden Vorort von Chicago, war die Parade zum Nationalfeiertag schon im vollen Gange, als plötzlich Schüsse fielen. Handyvideos zeigen, dass Familien, die Fähnchen-schwenkend am Straßenrand standen und den Kapellen und Festwagen zujubelten, zunächst kaum reagierten. Dann waren Schreie zu hören: „Schüsse! Schüsse! Lauft!“ Wahllos schoss der Attentäter vom Dach eines Gebäudes in die Menge. Panik brach aus, die Menschen flüchteten in alle Richtungen.

„Als es anfing, dachte ich zunächst, es seien Salutschüsse der Navy“, schilderte der Augenzeuge Alexander Sandoval der „New York Times“. „Ich schnappte meine Kinder und rannte und versuchte, das Fenster eines Geschäfts einzuschlagen, um in Sicherheit zu gelangen.“ Schließlich konnte sich Sandoval um eine Ecke flüchten. Er versteckte seine beiden Söhne in einer Mülltonne.

Sechs Tote, zwei Dutzend Verletzte

Als der mutmaßliche Schütze, der 22-jährige Robert C., das Feuer schließlich einstellte, waren fünf Menschen bereits tot, eine weitere Person starb wenig später. 25 Menschen wurden mit Schussverletzungen ins Spital gebracht. Und das durch eskalierende Waffengewalt ohnehin traumatisierte Land war um ein Schusswaffen-Massaker reicher.

Der Verdächtige konnte zunächst fliehen, wurde aber etwa zehn Stunden später nach einer Verfolgungsjagd an einer Kreuzung festgenommen. Am Dienstag wurden dann weitere Details bekannt: Der mutmaßliche Täter habe anhand seiner Waffe identifiziert werden können, berichteten US-Medien. Ermittler hätten DNA-Spuren am Gewehr gefunden, das er zurückließ. Zudem soll er zuvor Musikvideos mit Szenen von Waffengewalt ins Netz gestellt haben. Ein Motiv blieb zunächst unklar.

Die Besucher der 4.-Juli-Parade mussten flüchten.
Die Besucher der 4.-Juli-Parade mussten flüchten.IMAGO/ZUMA Wire

In mehreren Vororten von Chicago wurden die Festparaden nach der Attacke abgesagt. J.B. Pritzer, Demokrat und Gouverneur von Illinois, äußerte sich bestürzt. „Es gibt keine Worte für ein solches Monster, das auf der Lauer liegt und in eine Menge von Familien mit Kindern feuert.“ Er werde „diese Plage beenden“. US-Präsident Joe Biden begnügte sich zunächst mit einem schriftlichen Statement: Er sei „schockiert über die sinnlose Waffengewalt".

Beispielloses Ausmaß an Waffengewalt

Die Ereignisse werden die Debatte über das Waffenrecht in den USA weiter anheizen, bei der sich zwei unversöhnliche Lager gegenüberstehen: die Schießfans im Verein mit der mächtigen Waffenlobby NRA auf der einen Seite, denen der konservativ geprägte Oberste Gerichtshof mit einem Grundsatzurteil gerade den Rücken gestärkt hat. Auf der anderen die Verfechter einer strengen Waffenkontrolle mit US-Präsident Biden an der Spitze. Ein parteiübergreifendes Gesetz, das eine intensivere Überprüfung von jugendlichen Waffenkäufern vorsieht, konnte er vor Kurzem als Erfolg verbuchen.

Im Windschatten dieses Streits hat die Waffengewalt in den USA unterdessen ein beispielloses Ausmaß erreicht. Das Massaker von Highland Park war die dritte Gewaltorgie innerhalb weniger Wochen: Im Mai schoss ein weißer Rassist in einem Supermarkt in Buffalo im Bundesstaat New York zehn Schwarze nieder. Kurze Zeit später tötete ein 18-Jähriger in einer Schule in Uvalde, Texas, 19 Schüler und zwei Lehrerinnen. Angaben der US-NGO „Gun Violence Archive“ zufolge war der Angriff von Highland Park bereits das 15. Shooting in diesem Jahr in den USA, bei dem mindestens vier Menschen ums Leben gekommen sind.

Waffengewalt in den USA

Dieses Jahr haben in den Vereinigten Staaten laut der NGO „Gun Violence Archive“ bereits 15 Angriffe mit Schusswaffen stattgefunden, bei denen mindestens vier Personen getötet wurden. Mitte Mai erschoss ein Attentäter in einem Supermarkt in Buffalo, New York, zehn Menschen. Ein 18-Jähriger tötete in Uvalde, Texas, in einer High School 19 Schüler und zwei Lehrerinnen. In Highland Park starben nun sechs Menschen.

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