Quergeschrieben

Was hat der Sozialstaat jetzt schon wieder falsch gemacht?

Die Pensionen von Frauen sind viel niedriger als jene der Männer. Das ist nicht unfair, wie beklagt wird, sondern logisch.

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Das Datum ändert sich jedes Jahr um ein paar Tage, aber die Empörung kommt stets prompt: „Frauen laufen mangels Alternativen sehenden Auges Richtung Altersarmut“, schrieb Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec in einer Aussendung. „Der Fortschritt geht zu langsam voran.

Zaudern hilft niemals“, textete Peter Kostelka, Chef des Pensionistenverbands. Auch die Wiener Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál wollte das Publikum über ihre Bestürzung informieren: „Altersarmut betrifft noch immer vor allem Frauen. Das ist alarmierend“, erklärte sie.
Anlass der vielstimmigen Klagen war der sogenannte „Equal Pension Day“, der dieses Jahr am 3. August begangen wurde. Das Datum markiert den Tag, an dem Männer schon so viel Pension bekommen haben, wie Frauen in einem ganzen Jahr beziehen. Österreichischen Seniorinnen wird laut dieser Berechnung (die der Städtebund seit 2015 durchführt) im Schnitt um exakt 41,06 Prozent weniger Rente überwiesen als den männlichen Kollegen. Im Vorjahr fand der Equal Pension Day zwei Tage früher statt. Ein bisschen besser ist die Lage also geworden. Oder auch nicht: Dass der Unterschied kleiner wurde, habe einen unerfreulichen Grund, erklärte die Arbeiterkammer. Nicht die Pensionen der Frauen hätten zugelegt, sondern die der Männer seien weniger stark gestiegen.

Wir haben in Österreich schon ein gewisses Talent, den eigenen Sozialstaat schlecht zu reden, oder? Das System verschlingt 130 Milliarden Euro pro Jahr und hinterlässt angeblich immer noch zahlreiche arme Opfer. Das fällt mir schwer zu glauben, ehrlich gesagt. Oft scheint es den Kritikern mehr um ritualisierte Beschwerdeführung zu gehen als um die Behebung echter Missstände. Der Equal Pension Day ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel: Für die Renten tut der Sozialstaat nicht zu wenig, sondern zu viel, wie der Rechnungshof jüngst feststellte. Und die Gender Gap liegt schlicht am Gesellschaftsmodell vergangener Jahrzehnte – das sich rückwirkend nicht ändern lässt.

Der größte Teil der heutigen Pensionisten entstammt einer Generation, in der es üblich war, dass Papa arbeiten ging und Mama zu Hause blieb. Die Frauenerwerbsquote lag 1975 bei 30 Prozent. Ab dem ersten Kind war für viele Schluss mit dem Job. Kein Wunder, dass in dieser Zeit erworbene Durchschnittspensionen niedrig sind. Es ist also unlauter, dafür die aktuelle Frauen- und Sozialpolitik haftbar zu machen. Wollte man wirklich wissen, wie österreichische Seniorinnen finanziell dastehen, müsste man in die Kalkulation auch die ca. 500.000 Witwenpensionen einfließen lassen. Aber diese wurden beim emsigen Addieren und Dividieren nicht berücksichtigt, wie der Städtebund auf Anfrage mitteilt. Man kann dem Sozialstaat vorwerfen, dass er es oft zu gut meint und damit mehr Schaden als Nutzen stiftet. Das frühere Pensionsalter für Frauen etwa galt lang als feministische und soziale Errungenschaft, führt aber selbstverständlich zu weniger Beitragsjahren und damit ebenfalls zu niedrigeren Renten. Die Angleichung wird – auch wegen des Widerstands von Frauenorganisationen – noch bis 2033 dauern.

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