Aktionismus und Designerkostüme im Luxushotel: Wie die Welt im mexikanischen Cancún versucht, den „hausgemachten“ Klimawandel aufzuhalten. Bolivien fordert ein internationales „Klimagericht“.
Die Welt an sich ist kompliziert. Doch sie ist nichts im Vergleich zum Mensch: Der hat die Eigenart, alles noch viel komplizierter zu machen.
Seit fast zwei Wochen sind rund 22.000 Menschen aus aller Welt, davon 9000 Delegierte und Journalisten aus 192 Staaten, im wunderschönen mexikanischen Badeort Cancún auf der Halbinsel Yucatán dabei, über die Rettung der Welt vor der vermeintlich unabwendbaren und „hausgemachten“ Klimakatastrophe zu beraten. Dabei geht es um allerhand scheinbar einfache Dinge, etwa die Begrenzung des Ausstoßes von Treibhausgasen wie Kohlendioxyd und Methan, den Schutz der Wälder, die Treibhausgas „aufsaugen“, sowie technisch-finanzielle Hilfe für ärmere Staaten, die sich mit dem Klimawandel besonders schwer tun. Doch am Donnerstag, dem vorletzten Konferenztag, zeugte schon das Programmheft davon, dass alles eben doch schrecklich kompliziert ist - oder kompliziert gemacht werden kann.
Auf satten 43 Seiten waren an dem Tag mindestens 80 Veranstaltungen verzeichnet, von Konsultationen diverser Experten- und Diplomatengruppen über Pressekonferenzen und Diskussionen bis hin zu Ausstellungen und Aktionen von Umweltschützern. Ach ja, nebenbei hielten Präsidenten, Premiers und Minister aus 92 Staaten Reden – darunter Österreichs Landwirtschafts- und Umweltminister Nikolaus Berlakovich.
Frostklaue, der Polarbär
Die Veranstaltungen zeigten, was dem Menschen alles einfällt, wenn’s ums Wetter geht – oder darum, sich zu inszenieren. Da trafen einander Vertreter kleiner Inselstaaten wie der Malediven, die sich angesichts steigender Meeresspiegel vor dem Untergang fürchten ebenso wie Diplomaten arabischer Ölstaaten oder Vertreter indigener Völker. Vor der Presse warben Klimaschutzorganisationen wie „Germanwatch“, Boliviens Präsident Evo Morales und japanische Diplomaten ebenso für ihre Positionen wie die „Australian Youth Climate Organisation“, seine Heiligkeit Shri Shri 1008 Soham Babaji, der „spirituelle Führer Indiens, der in den hochgelegenen Höhlen des Himalayas wohnt“, oder die Schweiz. In Nebenveranstaltungen ging es um den Beitrag der Schifffahrt zum Klimaschutz, Müllrecycling in Brasilien und wieso Frauen besonders wichtig gegen den Klimawandel seien. Natürlich durften die (teils die Grenzen des Kindischen auslotenden) Aktionismen von Umweltschützern nicht fehlen: So sah man etwa als Diplomaten verkleidete Aktivisten bis zum Hals im Meer sitzen oder „Frostklaue, den Polarbären“ tot am Boden liegen, um den Hals ein Schild, dessen Aufschrift dafür die USA verantwortlich macht. Und vor dem Konferenzzentrum verteilte eine obskure asiatische Veganersekte Bücher, in denen ihre Anführerin, die „oberste Meisterin Ching Hai“, erklärt, wie man durch „richtiges“ Essen Frieden schafft.
Dauertelefonierende Diplomaten
Ein großer Teil der Veranstaltungen fand im riesigen Gebäudekomplex des „Moon Palace“-Hotels statt – das ist eher eine Kleinstadt mit mehr als 2400 Zimmern (jedes mit Jacuzzi) und gewaltigen Pool-Systemen an einem rund zwei Kilometer langen Strandabschnitt. Die 15 schnieken Restaurants und zwölf Bars waberten Tag und Nacht von diesem eigenartigen Klimagipfel-Völkergemisch: Junge, hektische Journalisten, salopp gekleidete Wissenschaftler mit Bart, angestrengt besorgt blickende Aktivisten (teils im Rastalook) und dauertelefonierende Diplomaten in Anzügen. Vielen der Herren mit teuren Anzügen und Armbanduhren sowie der mit schicken Kostümen und Frisuren aufgebrezelten Damen konnte man schwer abnehmen, dass sie einen spritsparenden Kleinwagen einem anständigen SUV vorziehen; bei manchen war man sich nicht einmal sicher, ob sie wissen, was eigentlich ein Wald ist.
Die Frage, ob aus dieser eigentümlichen Gipfelwelt ein brauchbares Rezept gegen den Klimawandel hervorgehen könnte, stand am Donnerstag auf des Messers Schneide: Wichtige Staaten wie Japan und Russland waren weiter gegen die Fortsetzung des Kyoto-Protokolls, das rund 40 Industrieländer zur Absenkung der Treibhausgasemissionen bis 2012 um etwa fünf Prozent im Vergleich zu 1990 verpflichtet. Sie wollen, dass auch die ärmeren Staaten und neue Mächte wie China und Indien ähnliche Grenzen für sich ziehen. Diese aber argumentieren, die Industriestaaten hätten den Klimawandel seit 1850 verursacht und sollten daher das Kyoto-Protokoll für sich verlängern; Emissionsgrenzen für arme- und Schwellenländer würden deren Industrien nur am verdienten Wachstum hindern.
Bolivien fordert ein "Klima-Gericht"
Boliviens Präsident Evo Morales, ein Linkspopulist, legte gar einen Entwurf für ein Abschlusspapier vor, das die Industriestaaten zur Emissionsabsenkung um 50 Prozent bis 2017 (auf Basis 1990) verpflichten soll, um „Mutter Erde zu schützen“ (die EU, der „Klima-Vorzugsschüler“, hat 20 Prozent Minus bis 2020 versprochen, falls andere mitziehen sogar 30 Prozent). Großes Aufsehen erregte Morales, als er den (seiner Meinung nach) Verursachern des Klimawandels sowie dem Kapitalismus wegen der Todesopfer durch angeblich klimawandelbedingte Fluten, Dürre und Stürme Völkermord vorwarf; Bolivien fordert in dem Dokument Papier ein internationales „Klima-Gericht“, und dass reiche Staaten jährlich so viel an arme Staaten zahlen sollten, wie sie fürs Militär ausgeben.
Haitis Umweltminister Jean-Marie Germain sagte, dass „das zunehmend zerstörerische Klima“ in seinem Land die Ausbreitung von Seuchen wie der Cholera fördere. John Moffat Fugui, Umweltminister der Salomonen, sah in pathetischen Worten „unser Paradies in Gefahr“, seinem Inselstaat drohe Versinken, man müsse daher jetzt in Cancún „die leisen Schreie unserer Kinder und Enkel hören“ und gegen den Klimawandel kämpfen. Das wolle man tun, so Scheich Abdullah Al Nahyan, Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, nämlich durch massiven Ausbau von Solarenergie – und Atomkraft; dann sickerte durch, dass die arabischen Ölstaaten bei einer Reduktion des globalen Ölverbrauchs Kompensation für den Einnahmenausfall wollen.
In der Nacht auf Freitag tagten die Staatenvertreter wieder in zahlreichen „Spin-off-Gruppen“ sowie im großen Rahmen, es zeichneten sich Lösungen beim Schutz der Wälder, bei Aufforstungsprojekten und technischer und finanzieller Hilfe für ärmere Staaten gegen die Folgen des Klimawandels ab. Aber man darf wetten, dass auch diese wieder sehr kompliziert sein werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2010)