Merit-Order-Prinzip

Eingriff in Strommarkt „folgenschwer“

Die Art, wie der Strompreis an den Märkten berechnet wird, ist ein Grund für die Preissteigerungen. Experten warnen dennoch vor weitgehenden Änderungen.

Wien/Moskau. Experten der Energieagentur halten einen Eingriff in den europäischen Strommarkt für denkbar, weisen aber auf mögliche unerwünschte Folgen hin. So wäre etwa die sogenannte Merit-Order adaptierbar, sodass nicht mehr das teuerste Kraftwerk den Strompreis bestimmt. Dies würde aber zu einem anderen Bieterverhalten führen, was schwerwiegende Folgen haben und die Preise sogar treiben könnte, erklärten Karina Knaus und Christian Furtwängler in einer aktuellen Sonderfolge des Energieagentur-Podcasts „Petajoule“.

Aktuell gibt an der Strombörse jedes Kraftwerk ein Gebot entsprechend seinen Kosten ab. Das teuerste Kraftwerk, das nötig ist, um die Nachfrage zu decken, bestimmt dann den Preis für alle – genannt wird das Prinzip „Pay as Clear“.

Weil die Produktion in Gaskraftwerken wegen der Lieferkürzungen Russlands und auch jene in Atom- und Kohlekraftwerken infolge der austrocknenden Flüsse in Deutschland und Frankreich extrem teuer ist, ergeben sich für Wasserkraftwerke, Windräder und Fotovoltaik-Anlagen hohe Gewinne. Sie können nämlich billiger produzieren. Am Ende stehen sogenannte Windfall-Profits, hohe Gewinne, die den Unternehmen eher zufällig passieren.

Möglich wäre eine Änderung dahingehen, dass nicht das teuerste Kraftwerk den Strompreis im Großhandel bestimmt, sondern, „dass jeder genau den Preis erhält, den er auch geboten hat“, so Furtwängler. Die Rede ist von „Pay as Bid“. Der Großhandelsstrompreis wäre dann der volumengewichtete Mittelwert.

Eindeutiges Marktversagen

„Das klingt im ersten Moment total toll, weil alle natürlich die bisherige Form der Merit-Order vor Augen haben“, so Furtwängler. „Das Problem ist, dass man in einem solchen Marktsystem nicht von einem gleichen Verhalten ausgehen darf.“ Furtwängler erklärte, dass die Stromproduzenten dann nicht mehr ihre Grenzkosten bieten würden, wie es bei „Pay as Clear“ der Fall ist, „sondern man würde versuchen zu erraten, wer denn jetzt gerade das teuerste Kraftwerk sein könnte, das noch bezuschlagt wird, und versucht dann, da ein bisschen drunter zu liegen“.

Knaus warnt, dass dieses System sogar zu noch höheren Preisen führen könnte. Denn bei einer begrenzten Anzahl an Marktteilnehmern besagt die Spieltheorie, dass sich Konkurrenten gar nicht aktiv absprechen müssen und sich dennoch langfristig höhere Preise durchsetzen. Verschärft werde dieses Phänomen durch wiederkehrende Auktionen, wie es beim Strommarkt der Fall ist.

Wie Knaus darlegte, handelt es sich in der aktuellen Krise eindeutig um ein „Marktversagen“, das erkenne man auch daran, dass die Preise für alle Energieträger mit dem Preis für Erdgas in die Höhe gehen. Sie verglich die Situation mit der Ölkrise in den 1970er-Jahren und den damals jahrelang hohen Energiepreisen und Inflationsraten. Zu dieser Zeit sei auch die Energieagentur gegründet worden, mit dem Ziel, Antworten darauf zu finden. Der Ausweg wäre schon damals mehr Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien gewesen. Im Unterschied zu damals gebe es heute aber jene technischen Lösungen, die vor 50 Jahren noch gefehlt haben.

Gaspreis steigt wieder

Der Strompreis ist das eine, das andere ist der Gaspreis, der wieder zu Höhenflügen ansetzt. Anfang August hat sich der für den europäischen Gashandel richtungsweisende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in Amsterdam noch stabil an der Marke von 200 Euro je Megawattstunde gehalten. Im Wochenverlauf stieg er jedoch kräftig bis auf knapp 251 Euro. Am Freitag wurde Erdgas in Europa bei 237 Euro je Megawattstunde gehandelt. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren es etwa 50 Euro pro Megawattstunde.

Nur in der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine war der Preis für Erdgas höher und hatte Anfang März einen Spitzenwert über der Marke von 300 Euro erreicht. Preistreiber ist vor allem die Reduzierung der Liefermengen von russischem Erdgas nach Europa.

(APA)

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