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Die Insel der Engel

Von 1910 bis 1940 warteten auf Angel Island asiatische Immigranten auf die Einwanderung in die USA. Heute ist die Insel vor  San Francisco ein Naturschutzgebiet.
Von 1910 bis 1940 warteten auf Angel Island asiatische Immigranten auf die Einwanderung in die USA. Heute ist die Insel vor San Francisco ein Naturschutzgebiet.unsplash/
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Fantasien über eine Insel im San Francisco Bay, wertvoller als Twitter, mit komplexer Geschichte.

Diese Insel im San Francisco Bay betrat ich nie. Erstmals fiel sie mir auf, als ich mit einem Touristen-Hubschrauber darüber hinwegflog. Sie lag hinter Alcatraz. Wunderschöne Insel! ­


Als Reicher würde ich sie kaufen. Solche Fantasien sind verbreitet unter jenen Unreichen, die Reichtum falsch imaginieren – hätten sie echtes Geld, würden sie, eh klar, so Zeug wie Inseln kaufen. (Dabei sind die meisten Inseln unverkäuflich.) Später, im schäbigen Hotel, dessen Van-Gogh-Repros mir frech die Tatsache entgegenbrüllten, dass ich nicht im Geringsten reich war, fand ich ihren Namen heraus: Angel Island. Wunderschöner Name! Es fuhren Fähren dorthin, leider hatte ich ein anderes Programm. Seither warte ich auf den nächsten Besuch in San Francisco Bay. (Nein, die Insel schien nicht verkäuflich. Oder doch? So Leute, die Twitter kaufen wollen, sollten es mit ein bisschen gutem Willen und Bestechung doch bitte ­schaffen, auch Angel Island zu kaufen!)

Miwok-Eingeborene lebten auf dem einst voll bewaldeten 3,1-Quadratkilometer-Inselchen, das nach „Entdeckung“ und Kulturzerstörung durch die Europäer (ab 1775) ein Viehzucht- und ­Militärrückzugsort wurde. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hielt man hier Kriegsgefangene fest.


1910–40 empfing Angel Island jedoch über eine Million Einwandernde aus 84  Ländern, größtenteils aus China und Japan. Der Prozess der medizinischen Untersuchung, Desinfektion und peinlichen Befragung – Asiaten durften nur einreisen, wenn sie Verwandte in den USA nachwiesen – wurde von Betroffenen als äußerst demütigend beschrieben. Er dauerte zwischen zwei Wochen und 22 Monaten, wobei die durchschnittliche Aufenthaltsdauer für Weiße deutlich kürzer war. Drei Viertel der Antragstellenden kamen durch, viele nur durch ausgeklügelte Schwindeleien – die sogenannten „paper sons“ und „paper daughters“. Erst ein Brand am 5.  November 1940 sollte den diskrimi­nierenden Spuk beenden.


Kürzlich eröffnete das „Angel Island Immigration Museum“. Eines Tages werde ich es besuchen und von dort berichten. Angel Island ist deutlich ­wertvoller als Twitter. Scheint mir.

("Die Presse Schaufenster" vom 02.09.2022)

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