Filmkritik

Zuckerlfarbene Reise in David Bowies Kopf

Universal
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Der Amerikaner Brett Morgen legt mit „Moonage Daydream“ einen kurzweiligen 140-Minuten-Film vor, der versucht, den Zuseher in die schillernde, oft ziellos rasende Gedankenwelt des 2016 gestorbenen Popkünstlers einzuführen.

Kann eine psychedelisch visualisierte Annäherung an das Denken David Bowies woanders beginnen als in den Weiten des Weltalls? Wohl nicht. Auch „Moonage Daydream“ hebt in dieser kalten, dunklen Stille an. Das unsichtbare Raumschiff, das den Zuseher mit auf die Reise nimmt, scheint zu ruckeln, als Nietzsches Satz „Gott ist tot“ eingeblendet wird. Jetzt heißt es wohl, den Gurt zu kontrollieren. „Are you there, David?“, fragt jemand aus dem Off. Und schon drängt die Stimme des Sängers ans Ohr: „Time is one of the most complex expressions. The word desires to be understood to have a meaning.“ Nach einer Sequenz esoterischer elektronischer Geräusche erhebt sich der Rockstar. Das erste Lied ertönt. Der von Tony Visconti neu geölte Beat ist von erfrischender Härte. Er führt geradewegs ins treibende „Hello Spaceboy“, mit der Frage: „Don't you want to be free?“

Die Freiheit war ein zentraler Begriff in Bowies Kunst. Auch in Form des ziellosen Strawanzens, mit dem seine Karriere begann. Des Pilgerns, des Umkreisens von Genres und Ikonen. Von denen einige auch in diesem Film aufflackern: Buster Keaton, Nietzsche, Brecht, Murnau, Fritz Lang. Regisseur Morgen versucht, Bowie mit Methoden der Assoziation auf die Schliche zu kommen, ohne Angst vor Unsicherheit. Das hätte David Bowie gefallen, der einst befand: „If you feel safe in the area you're working in, you're not working in the right area. Always go a little further into the water than you're capable of being in.“ Erst wenn man den Grund zu verlieren beginnt, wird es spannend. Das gilt auch für diese irrlichternde Collage an ungesehenen Materialien, die da auf die Netzhaut peitscht.

Am obskursten Ort, in Westberlin

„Moonage Daydream“ zeigt die Wandlung des Popstars in einen Universalkünstler, der auf herzhaft dilettantische Art versucht, in unterschiedlichsten Disziplinen Bleibendes zu schaffen und zuweilen just im Scheitern groß wird. Als Filmschauspieler etwa war er nur mittelmäßig. Kaum jemand nahm es ihm übel. Nur Erika Pluhar erzählt gern, wie uninteressant ihr dieser Popstar am Set von „Schöner Gigolo, Armer Gigolo“ vorkam.

Oder als Maler im Gestus des Expressionismus. In Berlin entstand so manch interessantes Bild, aber nichts wirklich Bahnbrechendes. Sogar als Herrl scheiterte Bowie. Seinen Schäferhund Etzel von Sprieteufel gab er letztlich an einen Bauern ab. Als Musiker aber reüssierte er in der damals immens tristen Stadt. Instrumentals wie „Warszawa“ und „Subterraneans“, Songs wie „Sound And Vision“ und „,Heroes‘“ fahren auch in den neuen Versionen ins Gemüt. Am Ende seiner Zeit in Los Angeles meinte Bowie, dass er sich nun an den obskursten aller Orte begeben muss. Das war damals Westberlin.

Besonders in den Siebzigerjahren gab es keine bessere Personifikation der Heimatlosigkeit als David Bowie. Er verweigerte Besitz, wechselte nicht nur die Lebensorte wie andere die Kleider. In einem wilden Rausch der Anverwandlung raste er durch Ästhetiken der Vergangenheit wie durch Zukunftsprojektionen. Regisseur Morgen versucht, ihm punkto Sprunghaftigkeit zu folgen. Und bleibt dabei atemlos. Das tut dem Film gut. Leider fehlen legendäre Interviews. Etwas jenes mit der BBC 1999, in dem Bowie voraussagte, dass es Wahrheit nach Erfindung des World Wide Web so nicht mehr geben werde: „Das Internet ist kein Werkzeug, sondern eine fremde Lebensform.“

Aufgeregte Diskussion über Bisexualität

Nicht nur dafür gilt Bowie als Lieblingsprophet der Popkultur. Auch als Genderdissident. Etwa in Talk-Shows. Hier griff Morgen großzügig auf Archivmaterial zurück. Warum da einer Nagellack, Kleider und Frauenschuhe trug, erschloss sich damaligen Gastgebern nur schwer. Die aus heutiger Sicht irre konservativen Moderatoren diskutierten aufgeregt Begriffe wie Bisexualität. Der Amerikaner Dick Cavett kommt immer noch recht cool rüber, aber die britischen Hosts waren stocksteif. Was heutzutage amüsiert.

Lächeln kann man auch über die Volte, dass es Bowie in den Neunzigerjahren selbst nach dem Normalen gelüstete, das er als exotisch empfand. Nachdem er alles Wilde und Utopische in Sachen Kleidung ausprobiert hatte, zeigte er sich im Normcore-Outfit, trug karierte Hemden, sogar Blue Jeans. Diese Phase zeigt „Moonage Daydream“ genauso wenig wie das fulminante Finale, wo Bowie mit Alben wie „The Next Day“ und „Blackstar“ wieder an frühere Höchstleistungen anschließen konnte.

In seinem Suchen und Finden, aber auch Nichtfinden, gibt der Film ein realistisches Abbild eines chaotischen Künstlerlebens. War Bowie überhaupt dieser Kategorie zuzurechnen? Er zweifelte daran. „The artist doesn't exist“, sagt Bowie im Film. Dann, nach einer Kunstpause, legt er nach: „He exists only in the imagination of people.“ In diesem Sinn ist das größte Kompliment, das man diesem Film machen kann: Er lässt unserem Vorstellungsvermögen freie Bahn.

Ab 16. 9. in den Kinos. Der Soundtrack mit Wortfetzen und interessant remixten Klassikern erscheint digital am 16. 9., als CD am 18. 11., als Vinyl erst 2023.

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