Geschmacksfrage

Gibt es überhaupt noch Nobelitaliener in Wien?

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Ein Lob den Scaloppine di vitello al limone in der Cantinetta Antinori.

Es ist keine sehr gute Idee, die eigenen Restaurantkritiken zehn Jahre später zu lesen. 2012 besuchte ich offenbar die damals schon gute alte Cantinetta Antinori und verfasste folgenden mehr oder weniger amüsanten Schwachsinn:

„Gibt es überhaupt noch Nobelitaliener in Wien? [Das Fabios wurde gerade wieder einmal renoviert.]Die Cantinetta Antinori müsste einer sein. Dort haben die Kellner noch schwarze Maschen und teils stolze Bäuche, die Preise sind hoch, und auf der Karte steht auch noch eine echte Pasta Bolognese, die natürlich als Pasta con ragù geführt wird. […] Wirklich spektakulär ist die Küche des gleichnamigen italischen Weinguts und dazugehöriger Familie in und um Florenz wirklich nicht – sondern eher, was die Wiener gern ,verlässlich‘ nennen. Daher besuchen das Lokal auch oft ORF-Stars [?] und gefeierte [?] Künstler. Vielleicht essen sie dann etwa das langweiligste und zugleich liebenswerteste Gericht Italiens: kleine Kalbsschnitzel mit Zitronensauce, hier mit echtem Fruchtteil, schön säuerlich und sinnlos zugleich.“

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Hallo? Ging es noch? Kein Wunder, dass mir die Restaurantkritik entzogen wurde. (Vermutlich die Folge einer Intervention aus Florenz.) Es gibt kaum ein köstlicheres Gericht als die zarten Kalbsschnitzel, ach was, Kalbschips, mit der subtil molligen Sauce aus Fond, Butter und Stückchen vom Zitronenfleisch und der Schale. Schon möglich, dass meine Geschmacksnerven mit mir altern, aber auch der milde Meerestier-Salat mit Erdäpfeln und Minze macht die italienische Seele froh. Das gilt ebenso für die wunderbare spitzscharfe Pici-Pasta mit Knoblauch und Chili. Oder das nicht zu scharf gebratene Filet vom Branzino mit Kapern und Olivenöl.

Im Gegensatz zum Kroaten und Griechen weiß der kundige Italiener: Kein grober Knoblauch auf den Fisch. Oder ist das ethisch-ethnisch unkorrekt? Egal, fest steht auch, dass „Verlässlichkeit“ niemals negativ verwendet werden kann: So gesehen darf/muss/soll man die Cantinetta unbedingt empfehlen, im Garten wie im opulenten Innenraum. Hört mir auf mit diesen Pop-up-Chai-Latte-Vegane-Ramen-Buden, mehr Cantinetten braucht das Land.

Info

Cantinetta Antinori, Jasomirgottstraße 3/5, 1010 Wien, Tel.: +43/(0)1/533 77 22, Restaurant: täglich 11.30 bis 0 Uhr

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("Die Presse Schaufenster" vom 16.09.2022)

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