Irving Picard: Die Arbeit des Milliardenklägers

Irving Picard Arbeit Milliardenklaegers
Irving Picard Arbeit Milliardenklaegers(c) REUTERS (SHANNON STAPLETON)
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Kaum jemanden fürchtet die Wiener Hochfinanz so sehr wie Irving Picard. Der Madoff-Masseverwalter verklagte die Bank Austria und Sonja Kohn auf 19,6 Mrd. Dollar. Dank erwartet Picard nicht.

Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Selbst ein wenig Verunsicherung konnte der routinierte Anwalt nicht verbergen: Als Irving Picard am 12. März 2009 das Bundesgericht in Lower Manhattan verließ, öffnete er die Augen weit. Dann stieß er ein spontanes „crazy“ aus, ehe sich die Journalisten auf ihn stürzten.

Im Inneren des 30-stöckigen Gerichtsgebäudes hatte Bernard Madoff soeben erstmals seine Schuld gestanden. Und weil in dem kleinen Verhandlungsraum 24B bei Weitem nicht Platz für alle war, positionierten sich die Reporter vor dem Haupteingang des imposanten Baus, um auf Picard zu warten. Mit zittriger Stimme sprach der medienscheue Mann schließlich in die Mikrofone: „Ich werde sehr viel Geld einsammeln, um Madoffs Opfer halbwegs gerecht zu entschädigen.“

Seitdem hat sich das Leben Picards für immer verändert. Als Masseverwalter liegen die Hoffnungen der Geschädigten des Betrugs in seinen Händen. Der Jurist ist nun ein Staranwalt. Er ziert die Titelblätter großer Zeitungen. Kaum jemand, der mit Madoff zu tun hatte, bekam in den vergangenen zwei Jahren keine Klage von ihm angehängt. Ob Banken, Privatiers oder Wohltätigkeitsorganisationen: Irving Picard hat sie alle ins Visier genommen.

Seinen bislang größten Erfolg feierte der 69-Jährige am Freitag. Die Erben des Investors Jeffry Picower werden 7,2 Mrd. Dollar (5,4 Mrd. Euro) in den Entschädigungsfonds einzahlen. Doch es könnte noch dicker kommen. Von der Bank Austria, der früheren Bank Medici und deren Eigentümerin Sonja Kohn fordert Picard 19,6 Mrd. Dollar. Kohn sei eine Komplizin Madoffs gewesen. Sie habe Millionen an dem größten Betrug aller Zeiten verdient. Die Bank Austria wiederum habe Warnzeichen ignoriert und hätte den Schwindel erkennen müssen. Die Beklagten bestreiten alle Vorwürfe. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Juristen platzierten sich in Wien. Auch wenn die Wiener Hochfinanz ankündigt, Picard bekämpfen zu wollen: Sie sind alle vor dem Star gewarnt. Zu erfolgreich hat Picard bislang gearbeitet. Zu detailliert sind seine Klagen, zu ausgeklügelt. Dutzende Anwälte seiner Kanzlei Baker Hostetler beschäftigen sich rund um die Uhr mit dem Fall. Um die Klage gegen die Bank Austria vorzubereiten, verbrachten die Juristen drei Monate in Wien – zur Recherche.

Doch beliebt ist Picard keineswegs, selbst unter den Opfern Madoffs, für die er eigentlich arbeitet. „Du brauchst eine dicke Haut für diesen Job“, pflegt der 69-Jährige zu sagen. Immer wieder tauchen Betrogene auf, die Picard als kalt, unehrlich oder als Versager beschreiben. Einer der Gründe: Der Amerikaner lässt nur Ansprüche zu, die sich auf tatsächlich eingezahltes Geld beziehen. Madoff täuschte Anleger auf der ganzen Welt, indem er ihnen Kursgewinne vormachte. 20 Mrd. Dollar zahlten die Betrogenen ein. Als das Schneeballsystem zusammenbrach, wähnten sie 65 Mrd. Dollar auf ihren Konten. Irrelevant, sagt Picard. Die Leute sollen froh sein, wenn sie das eingezahlte Geld wiedersehen.

„Das ist richtig“, erklärt Keyvan Rastegar. Der in Harvard ausgebildete Österreicher arbeitete fünf Jahre lang als Wirtschaftsanwalt in New York. „Die Kursgewinne existierten nicht, es waren bloß gefälschte Kontoauszüge. Deshalb haben die Leute keinen Anspruch darauf.“ Die meisten Rechtsexperten sind ähnlicher Meinung. Dem Image Picards hilft das wenig. Viele Opfer sind wütend, und sie lassen ihre Wut an dem Masseverwalter aus – ob berechtigt oder nicht.

Ebenfalls für Ärger sorgt, dass die Auszahlungen auf sich warten lassen. Auch in den USA mahlen die Mühlen der Justiz nicht immer schnell. Zwei Jahre hatte Picard Zeit, um Klagen einzureichen. Diese Frist ist nun abgelaufen. Jetzt wird hinter den Kulissen verhandelt. Es geht um Vergleiche und Millionen. Auch die österreichischen Banken werden um Millionenzahlungen kaum herumkommen. Bislang war immer wieder von einer dreistelligen Millionensumme die Rede, die die Bank Austria, die Bank Medici und Sonja Kohn auf den Tisch legen müssen. Doch mit dem jüngsten Erfolg im Streit mit Picower hat Picard an Selbstvertrauen gewonnen. Ein außergerichtlicher Vergleich könnte nun teurer werden. Sollten sich die Streitparteien wider Erwarten nicht einigen, droht ein jahrelanges Verfahren. Die Wut der Opfer würde dadurch nur größer.

Keine prozentuelle Entlohnung. Den Haupteingang des noblen Art-déco-Gebäudes neben dem Rockefeller Center benützt Picard schon längst nicht mehr. Geht er in sein Büro, nimmt er den Hintereingang. Zu oft warten Opfer von Madoff, um den Juristen zu beschimpfen. 80 Prozent aller Forderungen hat Picard abgelehnt. Jenen Investoren, die über sogenannte Feeder-Fonds bei Madoff investiert waren, zeigt er die kalte Schulter. Sie können sich bestenfalls bei den Banken schadlos halten, die ihnen diese Fonds verkauft haben. In Österreich laufen solche Klagen gegen die Bank Austria. Dass sie so erfolgreich sein werden wie jene Picards, darf bezweifelt werden.

Noch größer wird der Ärger der Abgewiesenen, wenn sie von Millionenhonoraren hören, die Picard kassiert. Freilich: Arm sterben wird der Jurist nicht. Kürzlich genehmigte der Richter seiner Kanzlei 35 Mio. Dollar für die Arbeit von drei Monaten. Doch es ist ein Irrtum, dass Picard anteilsmäßig von der eingeklagten Summe entlohnt werde. „Das ist falsch“, erklärt Experte Rastegar. Tatsächlich wird ein für Investmenthäuser zuständiger Masseverwalter nach Stunden bezahlt. Das Geld dafür kommt aus der „Securities Investor Protection Corporation“ – einem staatlichen Fonds, in den Investmentfirmen jährlich einzahlen. An der Entlohnung liegt es also nicht, dass Picard solch hohe Beträge einfordert. „Wir wollen bloß Geld für die Opfer herausholen.“ Ob diese das dem Staranwalt nun danken oder nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2010)

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