Wort der Woche

Verschwörungstheorien

Die zahlreichen Verschwörungstheorien rund um Corona zeigen klare zeitliche Muster: Manche verschwinden wieder von selbst, andere sind aber gekommen, um zu bleiben.

Verschwörungstheorien – also die Erklärung einer Entwicklung durch das konspirative Wirken von kleinen Akteurs-Gruppen – begleiten die Menschheit seit Jahrtausenden. Ein gemeinsames Muster in allen Zeiten war und ist, dass diese v. a. in unsicheren Zeiten florieren. Eines hat sich aber geändert: Dank elektronischer Medien ist die – heute raschere – Ausbreitung von Verschwörungstheorien nun gut nachvollzieh- und messbar. Das haben Forscher um Dmitry Erokhin vom IIASA (Internat. Institut für Angewandte Systemanalyse) in Laxenburg nun getan: Sie haben Twitter-Meldungen gezielt nach acht Corona-spezifischen Verschwörungstheorien durchsucht und stießen zwischen Jänner 2020 und November 2021 auf 1,27 Mio. einschlägige Tweets (Social Media & Society, 10. 10.).

Bei der Analyse zeigte sich, dass die Zahl der geposteten Meldungen eng mit den aktuellen Fallzahlen zusammenhängt – und dass es im Zeitverlauf klare Muster gibt. Die Forscher konnten eine Klassifikation in vier Gruppen vornehmen: Erstens gibt es Narrative, die praktisch nur am Anfang der Pandemie vertreten wurden – insbesondere die Vermutungen, dass der neue Mobilfunkstandard 5G für Corona verantwortlich sei und dass die Spitäler trotz der (angeblichen) Krankheit leer seien („FilmYourHospital“). Diese Ansichten verschwanden – wohl mangels Evidenz – rasch wieder.

Die zweite Gruppe sind Verschwörungstheorien, die anfangs keine Rolle spielten, dann aber immer stärker wurden: Dabei handelt es sich um eine behauptete Konspiration von Pharmakonzernen und um die Angst vor schweren Impfschäden.

Eine dritte Gruppe von Narrativen hält sich dauerhaft: Konkret sind das die Vorwürfe, dass die Zahl der Krankheitsfälle übertrieben werde und dass Bill Gates die Welt versklaven wolle. Die vierte Gruppe von Verschwörungstheorien schließlich zeichnet sich dadurch aus, dass sie auftauchen, rasch verschwinden, wieder auftauchen usw. Dazu zählen insbesondere der Vorwurf, dass uns Vakzine genmanipulieren würden und dass das Coronavirus in Wirklichkeit eine biologische Waffe sei.

Eine der Lehren, die die Forscher aus dieser Analyse ziehen, ist, dass manche Narrative von selbst wieder verschwinden, wenn eine unübersichtliche Situation mit der Zeit klarer wird. Allerdings – und das ist beängstigend – gibt es auch Verschwörungstheorien, die unabhängig von jeglicher Faktenlage bestehen bleiben.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2022)

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