Statt des Silicon Valley ist plötzlich Washington D. C. interessant: Die Tech-Milliardäre gerieren sich als libertäre Vordenker – und drängen in den USA in die Politik. Was treibt Peter Thiel, Elon Musk und Konsorten an?
Düstere Bars, vermüllte Straßenzüge, chinesische Imbissbuden, Pizzaläden, Graffiti auf Ziegelmauern, Kerzenlicht, Zigarettenrauch. Und viele junge, gut gekleidete Menschen, Frauen mit verschmiertem Kajal und schwarzen Miniröcken, Männer in Arbeitskleidung und Baseballkappe auf dem Kopf, alle irgendwo zwischen Antidepressiva und Kokain oder beidem. Jeder hier an der Lower East Side von Manhattan, zwischen Chinatown und der Brücke nach Williamsburg, ist Musiker. Oder Filmemacher. Podcaster. Stylist. Oder Model. Die meisten sind selbst deklarierte Schriftsteller. Und leben am New Yorker Existenzminimum. Aber alle hier sind äußerst internetaffin.
Die Lower East Side hat sich in den vergangenen Jahren zum schlagenden Herz der US-amerikanischen Popkultur gemausert. Wieder einmal. In dem einstigen Immigrantenviertel waren es in den 1980er-Jahren junge Kreative, die Musik, Kunst und Mode beeinflussten, beflügelt von Drogen und unterstützt von günstigen Mieten. Die 2020er sind im Vergleich dazu ein Goldenes Zeitalter. Luxushotels eröffnen neben Spelunken, Fine Dining ersetzt Dim Sum. Diese neuen Kreativen beherrschen die Selbstvermarktung, ihr Einfluss ist vor allem auf Twitter (mit beißendem Humor) und Instagram (mit inszeniertem Trash) zu spüren.
Auch Peter Thiel ist auf diese Meute aufmerksam geworden. Wohl auch deshalb, weil ihr Ton anders ist als jener der Hipster, die in den 2010er-Jahren Veganismus, Yoga und progressive Protestkultur mit durchgestylten Apartments in Brooklyn vereinten – und mit Rauschebart, Sneakers und Seemannsmützen liberale Werte predigten. Die neuen Trendsetter auf der Lower East Side, sie geben sich politisch unkorrekt, spielen mit rechtem Jargon, interessieren sich für den erzkonservativen Sektor der katholischen Kirche und schimpfen über die Demokraten.
Und Thiel, so flüstert man, ist mittendrin. Der 55-jährige Tech-Milliardär und libertäre Ideologe soll ein als „anti-woke“ betiteltes Filmfestival im vergangenen Herbst kofinanziert haben, wie die Nachrichtenplattform Buzzfeed heuer recherchiert hat. Und die coolsten Mitglieder der Lower-East-Side-Clique scherzen seitdem, sie würden ihr Leben mit „Thiel-Dollars“ finanzieren. Es wird getratscht, dass einige dieser Influencer tatsächlich von Thiel bezahlt würden. Angeblich.