Antonio Canova: „Amor und Psyche“.
Liebe

In ihrer Stimme ein Hauch von Wahn

Die besten Geschichten, sagt man, schreibe das Leben. Tatsächlich schreibt aber natürlich die Liebe die besten Geschichten, wenn auch nicht immer die schönsten: über Jens und Nele.

Seit dieser Krieg alles überschattet, sind wir Schriftsteller (wieder einmal und mehr als sonst) vor allem Chronisten unserer Zeit, mit dem unmittelbaren Reagieren auf das aktuelle Geschehen beschäftigt. Die News sind unser Metronom, nicht der Puls unserer eigenen Geschichten, nicht der lange Atem eines fiktiven Erzählprojekts, sondern das Staccato der Meldungen im Liveticker. In diesen Tagen (in diesen Monaten, muss man leider sagen), kann man nicht nur an der Welt, sondern auch an der Liebe verzweifeln. Seit ich das hier gelesen habe, sowieso:

Ein russischer Soldat namens Roman ruft seine Frau aus dem Krieg an und bittet sie um Erlaubnis, ukrainische Frauen zu vergewaltigen. Seine Frau, Olga, willigt ein. Sie sagt nur, er solle vorsichtig sein und sich schützen. Der ukrainische Schriftsteller Sergei Gerasimow hat diese Geschichte in seinen „Notizen aus dem Krieg“ im Mai 2022 in der NZZ erzählt. Es handelt sich bei Roman und Olga um echte Menschen, und ihr Telefongespräch hat stattgefunden.

Ich konnte, nachdem ich das gelesen hatte, einige Zeit keine Zeile schreiben. Und das wurde durch die Entdeckung, dass man diese grässliche Geschichte als Liebesgeschichte lesen kann, nicht besser (im Gegenteil): Die Frau liebt ihren Mann, und sie liebt ihr Heimatland. Sie will, dass er überlebt, und sie will, dass er als Sieger heimkehrt. Jede Waffe ist recht und willkommen. Wozu noch erfinden, wozu erzählen? Wenn im Namen der Liebe solche Abscheulichkeiten sanktioniert werden, dann ist die Liebe nichts wert, dann ist die Welt im Arsch.

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