Hier regiert Manfred Deix: Das Karikaturmuseum an der Kunstmeile in Krems, errichtet von Gustav Peichl, eröffnet 2001.
Kulturland Niederösterreich

Kafka im Kreisverkehr, Doderer an der Rax

„So sind wir“, sagt ein Wahlplakat. Also wie ist es, das Kulturland Niederösterreich? Was macht es aus? Ein ungroßstädtischer Mut zu Anachronismen. Durchs Höllental, zur Donau und auf den Klangturm: eine Reise durch ein Land ohne Zentrum, aber mit vielen Zentren. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Gewiss, Kreisverkehre und Kriegerdenkmäler sieht man noch mehr in Niederösterreich, aber eine Pestsäule bestimmt in vielen Orten den zentralen Platz. Oft ist es eine Dreifaltigkeitssäule. So wie in Tulln, der Stadt, von der man nicht weiß, was ihr Name bedeutet. Dafür kommt er schon im Nibelungenlied vor, davon später. Und auf einer Gravur auf der Pestsäule: „Senatus populusque Tulnensis“ hätten diese errichtet, erzählt sie, und zwar „anno MDCXCV“, also im Jahr 1695.

Lateinische Jahreszahlen sind ja nicht selten auf Denkmälern. Aber eine entsprechende Variation der römischen Formel „Senatus populusque Romanus“ (SPQR) ist mir etwa aus Wien nicht bekannt. Daraus Großmannssucht – oder Großstadtsucht? – zu lesen, wäre unfair. Eher spricht daraus ein unbeschwerter Umgang mit der Geschichte, ein Mut zum Anachronismus. In einer Woche wählt Niederösterreich seinen Senat . . . – sorry: seinen Landtag neu. „Für morgen“ steht seit Wochen auf einem Wahlplakat der Grünen. Ein zeitloser Slogan. „Morgen“ heißt auch eine offizielle Kulturzeitschrift des Landes. Könnte es sein, dass eine gewisse Zeitlosigkeit charakteristisch für das Kulturland Niederösterreich ist?

Bleiben wir in Tulln, gehen wir an die Donau, zum Weg, auf dem Legionen von Radfahrern flussaufwärts und -abwärts fahren. Manchmal machen sie halt an einem groß angelegten Denkmal, das eine bewegte Szene zeigt: Der Hunnenkönig Etzel begegnet der burgundischen Königstochter, jeweils mit Entourage, mit fliegenden Fahnen. Dieses Treffen fand laut Nibelungenlied in Tulln statt. Das kann man auf einem übergroßen metallenen Buch am Denkmal nachlesen: „Eine Stadt liegt an der Donau im Österreicherland“, und so weiter. Die Wasserplastik zwischen Buch und Szene mag Wienern bekannt vorkommen: Sie ist von Hans Muhr, einem Lieblingskünstler des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk. Womit die Pointe so gut wie verraten wäre: Das Tullner Nibelungendenkmal stammt nicht etwa aus dem 19. Jahrhundert, sondern aus dem Jahr 2005. Nur vier Jahre älter ist das etwas flussabwärts gelegene Reiterstandbild des Kaisers Marc Aurel – eine Kopie der auf 165 n. Chr. datierten Statue, die heute in den Kapitolinischen Museen steht.

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