Gastbeitrag

Wenn Empörung den Blick trübt

Bei Missbrauch und Kindern ist die Empörung verständlicherweise groß, der klare Blick aber häufig getrübt.

„Es muss zum gemeinsamen gesellschaftlichen Anliegen werden, pädophile Männer zu unterstützen, bevor sie zum Täter werden. Wir sind es letztlich Kindern und Jugendlichen schuldig sie zu schützen!“ (Nicht Täter werden Österreich)

der Autor

Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner (* 1953) ist Psychoanalytiker, ehemals Universität Innsbruck.

Diese Forderung von Nicht Täter werden scheint bisher in Kommentaren und in der Politik vor lauter Empörung unterzugehen. Dies wohl auch deshalb, weil Täterarbeit und Opfer-schutz oft gegeneinander ausgespielt werden. Das Stück „Verstehen“ der Täterseele wird oft kurzschlüssig als Entlastung der Täter missverstanden. Als ich vor Jahren als Sachverständiger für Sexualdelikte einmal die Psychodynamik bzw. die Pathologie eines Angeklagten zu erklären versuchte, bezichtigte mich eine Richterin schnaubend der „Verharmlosung“ einer pädosexuellen Straftat. Welch ein Unsinn! Erklären, Frau Rätin, ist nicht entschuldigen und Täterarbeit nicht Opferignoranz – im Gegenteil!

Auch bei der Debatte um den Fall Teichtmeister könnte mir Ähnliches passieren – dennoch: Experten und Expertinnen und Regierung forcieren jetzt mehr Schutz von Kindern (pädagogische Programme, Personalaufstockung in Kinderschutzeinrichtungen etc.). Kaum jemand fordert dagegen Prophylaxe und Therapie die Täter betreffend. Ausnahmen waren bislang z. B. ein Männerberater am „Runden Tisch“ in einer „ZiB 2“ und „Falter“-Chef Florian Klenk kürzlich auf ORF III, der mehr Täterarbeit/-therapie forderte. Die Moderatorin aber entgegnete ihm postwendend: „Und schon sind wir wieder dort, wo wir Täter rehabilitieren.“ Genau davon aber müssen wir weg.

Das Halali auf einen prominenten Täter hat offenbar manches Bewusstsein getrübt. Ohne dessen Schuld auch nur irgendwie zu relativieren, haben wir es hier mit einem psychisch gestörten Menschen zu tun. Pädophile Neigungen (sexuelles Hingezogensein zu Kindern) sind eine psychopathologische Disposition, die entweder sehr früh (Kernpädophilie) oder durch eine perverse Fixierung durch traumatische Erlebnisse entsteht. Deshalb bedarf es meines Erachtens auch eines anderen Umgangs mit diesem Täter – ganz im Gegensatz zu Kriminellen, die Geschäfte mit diesen Pathologien machen und die bedingungslos verfolgt gehören.

Der klare Blick getrübt

Bei Missbrauch und Kindern ist die Empörung verständlicherweise groß, der klare Blick aber häufig getrübt. Empörung ist aber ein schlechter Ratgeber – erst recht, wenn verantwortungslose Politiker und Politikerinnen und Wahlkämpfende sie populistisch missbrauchen. Moralische Entrüstung, ermahnte uns einst Helmut Qualtinger, sei „der Heiligenschein der Scheinheiligen“. Dies trifft zumindest auf eine hoch sexualisierte Gesellschaft zu, die alles Sexuelle gnadenlos vermarktet, wobei sehr oft kindliche, zumindest Kindfraukörper als Ideale weiblicher Erotik gelten. Ich erinnere an ein Palmers-Sujet, das eine Jugendliche mit kindlichem Körper Cello spielend in Unterwäsche und Strapsen zeigte.

Die Problematik psychosexuell schwer beeinträchtigter Täter und Täterinnen sollte künftig jedenfalls anders vermittelt werden. Dies verharmlost deren Taten keinesfalls, sondern ließe sie in einem fachlich angemesseneren Licht erscheinen, ohne Stammtischgepolter und fragwürdige Strafrechtsverschärfungen. Dann würde auch der bisherige massive Mangel an Prophylaxe- und Therapieangeboten (als Opferschutz!) in Österreich deutlicher. Gut zu hören, dass Sozialminister Johannes Rauch auch eine Budgeterhöhung bei den dafür zuständigen Männerberatungsstellen im Sinn hat. Ohne Arbeit mit potenziellen Tätern werden wir die Kinder nicht ausreichend schützen können.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2023)

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