Die Ich-Pleite

Krank-in-die-Arbeit-Gehen feiert ein Comeback

Carolina Frank
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In der Coronazeit ist der Präsentismus verboten worden. Aber kaum ist die Pandemie vorbei, feiert der ­Uraltpräsentismus wieder fröhliche Urständ.

Absentismus hat keinen guten Ruf. Früher hieß es „blaumachen“. Absentismus gibt es auch in anderen Zusammenhängen. Im schulischen Zusammenhang etwa ist es als „schwänzen“ bekannt. Früher gefürchtet bei allen Müttern. Noch gefürchteter war allerdings ein anderer Absentismus: „sitzen lassen“. Eher passivisch gebraucht: sitzen gelassen werden. Steigerungsstufe: mit einem Kind ­sitzen gelassen werden.

Absentismus wurde den Menschen einhellig als Charakterschwäche ausgelegt. Wer in seinem Betrieb als Absentist bekannt war, hätte jedenfalls bestimmt nie eine Chance gehabt, zum Mitarbeiter des Monats gewählt zu werden. Da musste man schon Einsatz zeigen. Zumindest wenn der Chef gerade herschaute. Man musste der Letzte sein, der am Abend das Licht ausschaltet, der Einzige, der keine Mittagspause braucht, nachts um drei noch auf ein E-Mail antwortet, kein Wochenende macht, keinen Urlaub nimmt und sich auch noch in die Arbeit schleppt, wenn das Fieberthermometer schon über 39 Grad zeigt. In der Coronazeit ist der Präsentismus verboten worden. Aber im Home-Office hat er heimlich überlebt. Vor allem bei Führungskräften. ­

In Form von krächzenden Telefonstimmen, tränenden Zoom-Augen und E-Mails im Fieberwahn. Aber kaum ist die Pandemie vorbei, feiert der ­Uraltpräsentismus wieder fröhliche Urständ, sagt ein Forscher im Radio. Dabei kostet uns das Krank-in-die-Arbeit-Gehen jährlich Millionen. In Deutschland macht es circa 46 Prozent der Gesundheitskosten aus. Eine kanadische Studie sagt sogar, dass der Präsentismus die Volkswirtschaft 7,5 Mal mehr kostet als der Absentismus. Man muss Anreize schaffen. Vorschlag: Verzichtet ein Mitarbeiter auf Präsentismus, darf er sich ein paar Absentismustage gratis dazunehmen.

("Die Presse Schaufenster" vom 03.02.23)

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