Analyse

Sehnsucht nach freiem Handel mit Freunden

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach mit Kanadas Premier Justin Trudeau nicht nur über die gemeinsame Abwehr Russlands, sondern auch über Handels- politik.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach mit Kanadas Premier Justin Trudeau nicht nur über die gemeinsame Abwehr Russlands, sondern auch über Handels- politik.IMAGO/ZUMA Press
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Die Europäer tun sich nach wie vor schwer mit Handelsabkommen: Sie begründen Obstruktion mit Umweltschutz – sind aber empört, wenn sie mit derselben Begründung diskriminiert werden.

Washington/Brüssel. Die Nordamerika-Reise von Ursula von der Leyen stand zwar vordergründig ganz im Zeichen des russischen Überfalls auf die Ukraine und des daraus resultierenden Schulterschlusses des Westens – vormals unter dem pathetischen Überbegriff „freie Welt“ bekannt. Doch bei den Treffen der EU-Kommissionspräsidentin mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau zu Wochenbeginn und dem US-Präsidenten Joe Biden am Freitag ging es abseits des Pathos vor allem um prosaische Handelspolitik. Russlands Kriegserklärung an Europa legte die Abhängigkeit der EU von Autokratien bloß – sei es als Lieferanten von Rohstoffen, sei es als Absatzmärkte für Exportgüter.

Nach dem bösen Erwachen vor einem Jahr ist nun viel vom sogenannten „friendshoring“ die Rede – also vom Handel mit Freunden. Doch damit diese Reorientierung gelingt, muss die EU ihre Haltung zu Freihandelsabkommen ändern. In den EU-Hauptstädten scheint sich diese Erkenntnis allerdings nicht durchgesetzt zu haben, wie das Gerangel über längst ausverhandelte Abkommen mit Kanada und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur verdeutlicht. Österreich, das sich bereits vor zehn Jahren durch den Widerstand gegen den damals avisierten (und später schubladisierten) Transatlantischen Handelspakt TTIP hervorgetan hat, steht auch hier auf der Bremse.

Der Traum vom warmen Eislutscher

Der jüngste Beschluss des niederländischen Parlaments gegen das Abkommen mit Mercosur zeigt die Problematik auf: In Den Haag möchte man dem Pakt nur dann zustimmen, wenn er Agrargüter ausklammert – was für die Mercosur-Staaten, die gerade auf den Export vor Agrargütern fokussiert sind, kaum infrage kommen dürfte. Anders ausgedrückt: Ein Teil der Europäer träumt vom warmen Eislutscher gleich: Freihandel soll nur Vorteile bringen, indem man alles ausführen darf und sich zugleich unliebsame Konkurrenz vom Leibe hält. Begründet wird diese Blockadehaltung gern mit negativen Folgen für Klima und Artenvielfalt – allerdings auf eine auffallend selektive Weise, denn wenn es um jene Rohstoffe geht, die Europas Industrien benötigen und die Russland nicht mehr liefert, sieht man von etwaigen Umweltfolgen des Abbaus gern ab.

Besonders unangenehm für die EU ist allerdings, dass die USA den Spieß umgedreht haben – und ihr knapp 400 Mrd. Dollar schweres Subventionsprogramm für Zukunftsindustrien (IRA), das EU-Produkte benachteiligt, mit der Bekämpfung des Klimawandels begründen. Angesichts der eigenen Argumentationslinie gegenüber Südamerika dürften die Europäer eigentlich nichts dagegen haben, dass die USA Umweltschutz auf ihre Kosten betreiben. Dass sie sich dennoch lautstark gegen diese Diskriminierung wehren, zeugt davon, dass das europäische Verständnis von Freihandel ausbaufähig ist. Ob die Aggression Russlands und die Drohgebärden Chinas den Lernprozess beschleunigen werden, bleibt abzuwarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2023)

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