Gastkommentar

Das Finanzsystem braucht neue Spielregeln

(c) Peter Kufner
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Wieder Krise. Warum ist das Bankensystem noch immer so fragil?

Der Autor:

Dr. Wilfried Stadler (*1951 in Salzburg) ist Ökonom, Publizist und war Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Furche“.

Die Jahre der Scheinsicherheit sind vorbei. Nach der Pleite der Silicon Valley Bank, der Zwangsunterwerfung der Credit Suisse unter die UBS und dem Kurssturz bei Bankaktien wissen wir nun, dass die nächste Finanzkrise viel näher ist, als wir gehofft haben.

Warum aber ist das Bankensystem noch immer so fragil? Die nüchterne Wahrheit lautet, dass viele der seit der Finanzkrise 2008 gesetzten regulatorischen Maßnahmen an den eigentlichen Auslösern systemischer Schocks des Geldsystems vorbeizielen.

Zum einen ist die seit damals gestiegene Eigenkapitalausstattung von Großbanken noch immer viel zu gering im Verhältnis zu den eingegangenen Risiken. Bis heute wird das regulatorische Mindestkapital mittels einer an der Ratingeinstufung der Ausleihungen orientierten „Risikogewichtung“ schöngerechnet, während der „echte“ Eigenmittelpolster im Schnitt der großen Geldinstitute nur bei knapp fünf Prozent liegt. Der Hebel, mit dem daraus eine Bilanz von 100 wird, liegt demnach immer noch beim 20-Fachen davon! Fatal ist, dass die zugrundeliegenden „Risikogewichte“ in der Krise dramatisch ansteigen – zu einem Zeitpunkt also, zu dem plötzliche Eigenkapitalaufstockungen gerade nicht erhältlich sind. Eine weitere, prozyklische, krisenverstärkende Wirkung geht von den an Kapitalmarkttageswerten orientierten Bilanzen aus. Diese täuschen nämlich in guten Zeiten hohe Werte vor, verfallen aber in schlechten Zeiten umso rascher. Die Illusion, dass Marktwerte immer die ganze Wahrheit widerspiegeln, platzt gerade wieder einmal vor unser aller Augen.

Auch das Bemühen der Bankenaufseher, mit allerlei „Stresstests“ eine letztlich trügerische Sicherheit zu erzeugen, kann das Erfordernis einer größeren Solidität des Systems keinesfalls ersetzen. Sie schützen jedenfalls nicht vor den spekulativen Transaktionen gänzlicher unkontrollierte Schattenbanken, Hedgefonds und sonstigen Spielarten eines ungebremsten „Casino-Kapitalismus“ (© John Maynard Keynes), der sich von Staaten und Notenbanken Ausfallhaftungen erwartet.

Nicht mit Zinshoch gerechnet

Die abrupten Zinssteigerungen der Notenbanken, welche eine aus ganz anderen Ursachen erwachsene Inflation mit drakonischer Geldverteuerung zu bekämpfen suchen, wurden im Übrigen in keinem dieser Stresstests zur Arbeitsannahme gemacht – obwohl sie doch schon 2008 ein entscheidender Mitauslöser der damaligen Krise waren.

Dazu kommen in den vergangenen Jahren unbemerkt angewachsene, erst jetzt offensichtlich werdende Gefahren einer über Social Media und digitale Plattformen vernetzten Welt, in der sich das Produzieren von Marktgerüchten, wie sie zuletzt rund um die Deutsche Bank verbreitet wurden, für Spekulanten rasch bezahlt machen kann. Ein Szenario, in dem ein der erzwungenen Übernahme der Credit Suisse vergleichbares Szenario durch derartige Manöver herbeigeführt würde, kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Da Europa mit seiner Gemeinschaftswährung in Finanzkrisen besonders exponiert ist, weil jederzeitige Ansteckungsgefahren zwischen den Eurostaaten in eine nächste Euro-Staatsschuldenkrise führen können, muss es gerade in unserem Interesse sein, die Rahmenordnung, in der sich das Finanzwesen abspielt, wesentlich solider als bisher neu zu gestalten.

Auch wenn die globalen Großbanken dagegen Sturm laufen werden: Das Spiel nach dysfunktionalen Regeln, die nur zum Schein für Finanzmarktstabilität sorgen, muss zugunsten eines Finanzsystems beendet werden, das wieder vorrangig der Realwirtschaft dient.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2023)

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