Überläufer

Ex-Geheimdienstoffizier Putins: "Er hat krankhafte Angst um sein Leben"

"Er erhält nur Informationen aus seinem engsten Kreis", so der Überläufer Gleb Karakulow, er sei "paranoid".
"Er erhält nur Informationen aus seinem engsten Kreis", so der Überläufer Gleb Karakulow, er sei "paranoid".APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Ein geflohener Offizier der Kreml-Präsidentengarde erzählt in einem Interview über den Alltag von Wladimir Putin. Er sei „von der Welt abgeschnitten“. Und ein „Kriegsverbrecher“.

Er war ein Offizier der Präsidentengarde FSO und war dadurch dem russischen Präsidenten so nahe wie kaum jemand. Gleb Karakulow war für den persönlichen Schutz von Wladimir Putin verantwortlich, konkret war er für eine reibungslose Kommunikation rund um die Regierung zuständig, verschlüsselte die Kommunikation der höchsten Staatsbeamten, versorgte sie mit geheimdienstlichen Informationen. Bis er im Oktober letzten Jahres floh.

„Im Februar 2022 ist ein verbrecherischer Krieg ausgebrochen“, erklärt der Überläufer heute. „Ich konnte nicht im Dienst dieses Präsidenten bleiben. Ich halte ihn für einen Kriegsverbrecher. Obwohl ich nicht direkt in den Krieg verwickelt war, war es mir nicht mehr möglich, seine verbrecherischen Befehle auszuführen oder in seinen Diensten zu bleiben."

Es sind schonungslose Worte, die der ehemalige Offizier in einem Interview mit dem Dossier Center - einer Plattform des im Exil lebenden russischen Oppositionellen und Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski - findet. Er ist der wohl bisher ranghöchste Überläufer, der über den Krieg gegen die Ukraine und seinen Treiber ausgepackt hat. 

Diesen macht er verantwortlich für „Terrorismus und Völkermord am ukrainischen Volk". Bis 2020 habe sich der russische Präsident noch aktiv am öffentlichen Leben beteiligt, sei auf Geschäftsreisen gewesen. Doch dann kam Corona, Putin schottete sich von der Welt ab, hielt Veranstaltungen meist online ab, sagte die meisten Auslandsreisen ab. Er verbrachte die letzten Jahre in einem „Informationskokon“ und verließ seine Residenz kaum noch. 

„So verzerrte sich sein Blick auf die Realität.“ Ein „vernünftiger Mensch des 21. Jahrhunderts“, der Ahnung von den Entwicklungen in der Welt hat und sie zumindest mittelfristig vorsehen könne, „hätte diesen Krieg nicht zugelassen“, so Karakulow, und spricht von einer „Invasion in das Territorium eines souveränen Staates“.

„Putin hat krankhafte Angst um sein Leben"

Außerdem hätte der russische Präsident nach Angaben des geflohenen Offiziers - sie lassen sich zum Teil nicht unabhängig verifizieren - „krankhafte Angst um sein Leben“. Deshalb haben sich Akteure in seinem Umfeld an zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen zu halten:

Bis heute muss, wer in Kontakt mit ihm kommt, zwei Wochen in Quarantäne - auch wenn das Treffen nicht länger als 20 Minuten dauere. Wer mit ihm zusammenarbeitet, müsse geimpft sein und mehrmals täglich PCR-Tests unterziehen. „Alle sind ein wenig ratlos, warum das immer noch so ist“, räumt Karakulow ein, wahrscheinlich sei er um seine Gesundheit besorgt. Gerüchte um eine mögliche Erkrankung des russischen Präsidenten zerstreut Karakulow aber: „Er ist gesünder als viele Menschen in seinem Alter.“ 

Der russische Machthaber benutze außerdem weder Handy noch Internet, Informationen erhalte er aus seinem engsten Kreis oder den russischen Geheimdienstberichten. Er habe neben einigen offiziellen auch inoffizielle Wohnsitze, seine Büros an verschiedenen Standorten seien alle identisch eingerichtet: „Seine Büros, ob in St. Petersburg, Sotschi oder Nowo-Ogarjowo, sind alle gleich.“ Zudem täusche er Reisen vor, organisiere Geschäftsreisen, die er nie antrete. So könne er ausländische Geheimdienste in die Irre führen und „jeden Anschlag auf sein Leben" verhindern. 

„Wir werden im Dunkeln gehalten"

Während seine ehemaligen Kollegen Putin „in jeder Hinsicht verehren“, werde er selbst für seine Landsleute „unpatriotisch“ sein, so Karakulow. Dabei bedeute Patriotismus, sein Land zu lieben. „Und das müssen wir retten. Hier ist ein schrecklicher Krieg im Gange. Und er muss so schnell wie möglich gestoppt werden." 

Direkt an die Russen gerichtet sagt er: „Ich hoffe, dass alles, was ich gerade gesagt habe, nur die Falschdarstellung von Informationen in unserem Land bestätigt hat. Wir werden alle im Dunkeln gehalten. Nur die bequemen Wahrheiten werden erzählt. Jahrelang wurden wir mit willkürlicher Wahl von Informationsquellen und Konformismus indoktriniert. Das war einer der Gründe, die zu diesem Krieg geführt haben.“ 

>>> Zum Interview mit Gleb Karakulow

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