Wort der Woche

Energiewende

Auch wenn im Zuge der Energiewende die Eigenerzeugung von erneuerbarer Energie steigt, bedeutet das noch lang kein Ende der Abhängigkeit von Lieferantenländern.

Die Energieressourcen sind auf der Welt höchst ungleich verteilt. Daher werden weltweit Erdöl, Erdgas und Kohle im Ausmaß von 4600 Mio. Tonnen Erdöläquivalenten (Mtoe) gehandelt. Wenn es die Weltgemeinschaft mit dem weitgehenden Ausstieg aus Fossilenergie bis 2050 ernst meint – wie im Pariser Weltklimaabkommen verankert –, wird die Inlandsproduktion von Energie aus erneuerbaren Quellen rasant steigen und der globale Handel mit fossilen Ressourcen drastisch sinken.

Allerdings ist auch das Potenzial für erneuerbare Energie nicht gleich verteilt – so sind z. B. südliche Länder bei Solarenergie begünstigt. Folglich wird es auch in Zukunft grenzüberschreitenden Energiehandel geben. Um welche Größenordnungen es dabei geht, haben kürzlich Forschende des Joint Research Centers (JRC) der EU abzuschätzen versucht: Laut dem „Global Energy and Climate Outlook 2022“ wird der Handel mit fossilen Ressourcen in einem Szenario, das die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad begrenzt, bis 2050 zwar um 80 Prozent sinken. Doch gleichzeitig wächst der Handel mit fester Biomasse auf eine ähnliche Größenordnung; dazu kommen noch Wasserstoff und aus diesem hergestellte E-Fuels. In Summe wird sich der grenzüberschreitende Energiehandel bis 2050 auf rund 1900 Mtoe mehr als halbieren. Als wichtigste Exportländer der Zukunft werden China, Indien, der Nahe Osten und Nordafrika angesehen.

Das ist aber nur die eine Seite. Denn Energie wird nicht nur auf direktem Weg gehandelt, sondern auch eingebettet in Produkten – als Energieaufwand bei der Herstellung. Derzeit entspricht das 3650 Moet fossiler Energie, also ähnlich viel wie der direkte Energiehandel. Auch dieser Wert wird sinken, aber nur um ein Viertel auf rund 2800 Mtoe. Der Grund: Künftig werden in der Güterproduktion (meist importierte) fossile Energieträger v. a. durch (großteils im Inland erzeugte) „grüne“ Elektrizität ersetzt. Länder, in denen CO2-freier Strom – aus erneuerbaren Quellen oder auch aus Atomkraftwerken – billiger verfügbar ist, können kostengünstiger produzieren und (noch) mehr exportieren.

Auch wenn solche Szenarien mit vielen Annahmen und großen Unsicherheiten behaftet sind, so lässt sich doch eine klare Lehre ziehen: Die „Energiewende“ bedeutet keineswegs, dass die Abhängigkeiten von Energielieferanten verschwinden. Diese verschieben sich nur – und parallel dazu auch die weltpolitischen Konflikte um Energie.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2023)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.