Menschenrechte

1496 politische Gefangene in Belarus: Nun muss auch "reuiger" Blogger Protassewitsch acht Jahre ins Straflager

(c) IMAGO/ITAR-TASS (IMAGO/Natalya Talanova)
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Der Oppositionelle Roman Protassewitsch, dessen Ryanair-Flug in Minsk zur Landung gezwungen wurde, ist wegen hunderter Straftaten verurteilt worden.

Solche Prozess-Privilegien bekommen in Belarus nur besondere Angeklagte: Roman Protassewitsch durfte am Mittwoch den Urteilsspruch ohne Käfig und Handschellen entgegennehmen. Der Blogger wurde zu acht Jahren Lagerhaft wegen hunderter angeblicher Straftaten verurteilt, unter anderem der Organisation von Massenprotesten und des Komplotts für einen Staatsstreich.

Protassewitsch hatte 2020 als Chefredakteur des Telegram-Kanals „Nechta“ gearbeitet, der die Protestwelle gegen Wahlfälschungen bei Präsidentenwahlen koordinierte. Weit über 100.000 Bürger waren im Sommer 2020 gegen den Autokraten Aleksander Lukaschenko auf die Straße gegangen. Der Volksaufstand wurde mit Hilfe des Kreml niedergeschlagen. Mit Protassewitsch verurteilt wurden in Abwesenheit auch „Nechta“-Gründer Stepan Putilo und Blogger Jan Rudnik. Ihnen drohen 20 und 19 Jahre Haft, sollten sie jemals nach Belarus zurückkehren. Das Trio wurde zur Zahlung von umgerechnet rund 10 Millionen Euro verdonnert.

Freundin nach Russland ausgeliefert


Protassewitsch war vor zwei Jahren in Minsk nach der Zwangs-Landung eines Ryanair-Flugs von Athen nach Vilnius zusammen mit seiner damaligen Freundin Sofia Sapiega festgenommen worden. Sapiega, eine russische Staatsbürgerin, hatte von Vilnius aus einen weiteren belarussischen Oppositions-Telegram-Kanal geführt und war schon vor Jahresfrist wegen „Aufstachelung zu sozialem Hass“ zu sechs Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Ende April hat sie einer Auslieferung nach Russland zugestimmt, um dort den Rest ihrer Strafe abzusitzen. Kurz nach seiner Festnahme war Protassewitsch im Staats-TV aufgetreten, wo er sich mit aufgedunsenem Gesicht reumütig gab und Lukaschenko lobte. Die Opposition und seine Eltern vermuten, dass er gefoltert worden war. Nach den TV-Auftritten wurde seine Untersuchungshaft in Hausarrest umgewandelt.

Im August 2022 war Protassewitsch als Belastungszeuge gegen Oppositionelle aufgetreten, die einen Putsch geplant haben sollen. Diesem Vorwurf war er selbst ausgesetzt. Noch im April hatte die Staatsanwaltschaft das geforderte Strafmaß auf zehn Jahre erhöht. Da sich Protassewitsch vor Gericht schuldig bekannte und Reue zeigte, fiel das Urteil milder aus. Auch soll er bis zur Berufung unter Hausarrest bleiben dürfen. „Ich wäre nie freiwillig nach Belarus zurückgekehrt“, sagte er aber vor Gericht.

Verhaftungswelle geht weiter


Die verbotene Menschenrechtsorganisation „Wiasna“ zählt 1496 politische Gefangene in Belarus. Darunter befindet sich der Ehemann der Siegerin der Präsidentenwahlen Switlana Tichanowskaja, Siarhei Tichanowski (18 Jahre Lagerhaft), ihre Stabschefin Maria Kolesnikowa (11 Jahre) und der Sozialdemokrat Mikolai Statkiewitsch (14 Jahre).

Anfang Mai wurde die Berufung des Friedensnobelpreisträgers Ales Bialecki (10 Jahre) abgelehnt, und Präsidentschaftskandidat Wiktar Babariko (14 Jahre) wurde vermutlich so stark zusammengeschlagen, dass er ins Gefämgniskrankenhaus eingeliefert werden musste. 

Die Verhaftungswelle geht ungebremst weiter. Mittwochfrüh wurde in Minsk der Aktivist Wladimir Schigarew festgenommen. In Brest traf das gleiche Schicksal den Lokaljournalisten Maksim Chlebets. aut der Online-Zeitung „Nascha Niwa“ soll er am Nachmittag wieder freigelassen worden sein; weniger Glück hätten drei weitere Festgenommene.

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