Leitartikel

Wer sagt, dass Erdoğan nach einer Niederlage die Macht wirklich abgibt?

Im Fall der Fälle: Hält sich Erdoğan an die Spielregeln und gesteht die Niederlage ein oder folgt er dem verschwörungstheoretischen Beispiel von Donald Trump.
Im Fall der Fälle: Hält sich Erdoğan an die Spielregeln und gesteht die Niederlage ein oder folgt er dem verschwörungstheoretischen Beispiel von Donald Trump.(c) Reuters
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Die türkische Demokratie steht vor einem entscheidenden Wendepunkt. Egal, wer gewinnt, auf das Land kommen unruhige Zeiten zu.

Es ist auf den ersten Blick verwunderlich, dass der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, überhaupt noch Chancen hat, die Wahlen zu überstehen und im Amt zu bleiben. Seine Bilanz hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verdüstert. Er hat die Demokratie ausgehöhlt und in autoritäre Randzonen gesteuert, er hat dem Justizsystem die Unabhängigkeit genommen und Tausende Kritiker einsperren lassen, er hat die Türkei vom Westen entfremdet und wiederholt in diplomatische Sackgassen manövriert. Vor allem aber hat Erdoğan die türkische Wirtschaft auf Talfahrt geschickt. Und das wiegt bei der Wählerschaft am schwersten. Denn das spürt fast jede und jeder am eigenen Leib.


Gegen den Rat von Experten und auch Zentralbankchefs hielt der Staatspräsident verbohrt an einer verpeilten Niedrigzinspolitik fest und heizte damit die Inflation an. Die Teuerungsraten schnalzten im Vorjahr auf fast 80 Prozent hinauf und liegen noch immer bei rund 40 Prozent, sofern den offiziellen Statistiken zu trauen ist. Internationale Investoren zogen ihr Kapital ab, die Türkische Lira fiel ins Bodenlose. Den Preis für Erdoğans verblendete Finanzpolitik muss die türkische Bevölkerung zahlen – mit schmerzhaften Kaufkraft- und Wohlstandsverlusten.

Am Sonntag könnte der Tag der Abrechnung kommen. Das Regierungsbündnis aus Erdoğans islamisch-konservativer AKP und der rechtsextremen MHP wird höchstwahrscheinlich die Mehrheit im Parlament verlieren. Und auch bei der gleichzeitigen Präsidentenwahl wird es eng für den Amtsinhaber. Der kemalistisch-sozialdemokratische Herausforderer Kemal Kiliçdaroğlu greift nach dem Rückzug seines Ex-Genossen Muharrem Ince aus dem Bewerberfeld nun bereits im ersten Durchgang nach dem Sieg.

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