EU-Türkei-Abkommen

Migrationsforscher: EU sollte Türkei neues Angebot für Flüchtlingsabkommen machen

Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis am Grenzzaun zur Türkei.
Der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis am Grenzzaun zur Türkei.(c) AFP
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Der Migrationsforscher Gerald Knaus, ein Architekt des EU-Türkei-Abkommens, warnt davor, dass die Grenze ohne rasches Handeln „noch gewalttätiger, noch blutiger, noch rechtloser“ wird.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus - ein Architekt des EU-Türkei-Abkommens zur Reduzierung der Fluchtbewegung von 2016 - plädiert für ein neues Angebot der EU an die Türkei zur Regelung der Flüchtlingsströme. 2016 sei der Türkei die Visabefreiung versprochen worden, die Bedingungen habe Ankara damals wegen der Menschenrechtslage nicht erfüllt, sagte Knaus im Gespräch mit der APA am Rande der internationalen Konferenz "Time to Decide Europe Summit" in Wien.

Wenn die Türkei die Menschenrechtslage unter ihrem künftigen Präsidenten - Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu oder Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan - verbessere, sollte die EU am Ziel der Visaliberalisierung in naher Zukunft festhalten, sagte Knaus. Dies wäre immer verbunden mit der Rücknahme von Flüchtlingen und türkischen Staatsbürgern. Die Türkei müsste dafür politische Gefangene freilassen, womit Türken keinen Grund mehr hätten, in der EU um Asyl anzusuchen. Ohne Visaliberalisierung wäre ein weiteres Abkommen mit der Türkei "aussichtslos", so Knaus.

Abkommen wird weder von EU noch Türkei umgesetzt

Das Abkommen von 2016, das "rechtlich nur eine Presseerklärung ist" werde seit März 2020 weder von der EU, noch von der Türkei umgesetzt, sagte Knaus. "Die EU hält sich nicht daran, weil sie an der Grenze auf gewalttätige Pushbacks setzt - das ist nach der Erklärung verboten. Und die Türkei hat seit März 2020 nicht eine einzige Person zurückgenommen aus Griechenland. Das heißt, de facto ist diese Erklärung seit einigen Jahren tot."

Knaus hob hervor, dass die EU ihre Außengrenze durch Gewalt und Pushbacks und ohne Kooperation kontrolliere. Wenn sich die Verhärtung der Positionen im türkischen Präsidentschaftswahlkampf weiter zuspitze und die EU auf die Türkei nicht mit einem guten Angebot zugehe, bestehe die Gefahr, "dass diese Grenze noch gewalttätiger, noch blutiger, noch rechtloser wird". Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu will die rund 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien zurückschicken und das Flüchtlingsabkommen mit der EU neu verhandeln. "Kilicdaroglu spricht im Wahlkampf sehr viel darüber, dass er die Flüchtlinge alle wegschicken will. Aber er spricht auch darüber, dass er für die türkische Bevölkerung das seit Jahrzehnten bestehende Ziel der Visaliberalisierung erreichen möchte", sagte Knaus.

EU ohne Strategie

Auch die EU wisse derzeit noch nicht, was sich am Ende in der Türkei als Politik durchsetzen werde, sagte Knaus. Dies wäre umso mehr ein Grund für europäische Staaten, die reguläre Migration kontrollieren und den Zustand von Rechtlosigkeit und Gewalt beenden wollten, sich jetzt schon Angebote an Ankara zu überlegen. Erdogan kenne man: Er habe einige Jahre lang die EU-Türkei-Erklärung mitgetragen und dann aufgekündigt. "Derzeit ist das größte Problem, dass ich in der EU keine Strategie sehe, die man anbieten könnte."

Dem Ringen der EU um eine Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik misst Knaus dabei nur wenig Bedeutung zu. "Der Pakt für Migration hat keine Chance, irgendetwas zu verändern", sagte Knaus. "Worauf es ankommt, sind die Migrationspartnerschaften mit Nachbarstaaten. Wenn es die gibt, braucht man den Pakt nicht."

Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien „ausgeschlossen“ 

Eine Rückführung der 3,5 Millionen Flüchtlinge aus der Türkei nach Syrien hält Knaus für "ausgeschlossen". "Die Gewalt, die dafür notwendig wäre, ist in Friedenszeiten undenkbar, und in Kriegszeiten wäre es ein gewaltiges Verbrechen." Der syrische Präsident Bashar al-Assad habe kein Interesse an einer Rückkehr der Flüchtlinge. Die von der Türkei kontrollierten Gebiete im Norden Syriens seien schwer vom Erdbeben getroffen worden. Es gebe in Syrien keinen Wiederaufbau, Kilicdaroglu hoffe diesbezüglich auf die EU. "Dieses Geld gibt es nicht, es gibt auch keine Bereitschaft, im Land Assads (...) jetzt Milliarden auszugeben."

Die einzig realistische Chance sei eine Perspektive der Integration für die syrischen Flüchtlinge. Die EU habe jedes Interesse, diese Integration zu unterstützen - finanziell in der Türkei und auch indem man manchen Syrern die Chance biete, nach Europa zu kommen, so Knaus.

(APA)

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