Gastkommentar

Das ist bei Weitem nicht die erste Krise der SPÖ

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Und es wird wohl auch nicht ihre letzte sein. Schon 1948 und 1964 stand die Einheit der Partei auf dem Spiel. Ein Rückblick.

Der Autor

Johannes Kunz (* 1947 in Wien), arbeitete beim Hörfunk des ORF, ehe er von 1973 bis 1980 als Pressesprecher von Bruno Kreisky ins Bundeskanzleramt wechselte. 1982 Rückkehr in den ORF, wo er von 1986 bis 1994 als Informationsintendant amtierte. Autor mehrerer Bücher zu politischen Themen und Jazzmusik.

Wochenlang lief jetzt die Mitgliederbefragung der SPÖ. An deren Ende soll klar sein, wer die Partei als Vorsitzende(r) und Kanzlerkandidat(in) in die spätestens im Herbst 2024 anstehende Nationalratswahl führen soll, neben der Inflationsbekämpfung das dominierende Thema in der heimischen Innenpolitik.

Vielleicht erfahren wir am Montag (22. Mai) schon eine erste Tendenz aus den ausgezählten Mitgliederstimmen. Ob Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil oder Andreas Babler die Partei führen wird, werden wir erst am 3. Juni, wenn der Parteitag in Linz zur Beschlussfassung zusammentritt, wissen.

Jeder der drei Genannten steht für einen eigenen Weg: die bisherige Parteichefin Rendi-Wagner für einen zentristischen linksliberalen Mainstream, Burgenlands Landeshauptmann Doskozil für einen rechten Migrationskurs plus linker Sozialpolitik und der Traiskirchner Bürgermeister Babler für eine deutliche Linksausrichtung. Wer auch immer das Rennen macht, muss vor allem eines sofort angehen: die Einheit der Partei wiederherstellen. Die war in der Zweiten Republik schon zweimal in Gefahr.

1948: Absage an die Volksfront

Unter den vier Besatzungsmächten, die im ersten Nachkriegsjahrzehnt in Österreich stationiert waren, befanden sich bekanntlich die Sowjets, was den Kommunisten Auftrieb gab. Schon bei der ersten großen Jugendkundgebung vor dem Wiener Rathaus kam es zu einer Weichenstellung.

Während der kommunistische Staatssekretär für Unterricht, Ernst Fischer, für einen einheitlichen Jugendverband in der Freien Österreichischen Jugend unter KPÖ-Führung plädierte, lehnte der Führer der Sozialistischen Jugend, Ernst Strasser, eine Kooperation mit den Kommunisten kategorisch ab. Doch in der SPÖ sprach sich der Zentralsekretär Erwin Scharf für eine Aktionseinheit mit der KPÖ aus. Mit dem Slogan „Einheit macht stark“ warben die Kommunisten in ihren Medien und auf Plakaten für eine solche Volksfront, natürlich mit wohlwollender Billigung der Sowjets. Parteivorsitzender der SPÖ war der dem rechten Flügel zugehörige spätere Bundespräsident Adolf Schärf, der sich klar gegen eine Verbindung mit den Kommunisten und damit gegen Erwin Scharf vom linken Flügel stellte.

Schärf, hinter dem die große Mehrheit des SPÖ-Parteivorstandes stand, wollte in Österreich eine Entwicklung, wie sie sich damals in mehreren osteuropäischen Ländern abzeichnete, die zu Satellitenstaaten unter sowjetischer Dominanz wurden, um jeden Preis verhindern. Über Scharf wurde ein Redeverbot verhängt und er wurde nach Veröffentlichung einer Broschüre, die Kritik an der Rechtsentwicklung der SPÖ und die Forderung nach einer Aktionsgemeinschaft mit den Kommunisten enthielt, 1948 aus der Partei ausgeschlossen. Er gründete die Partei der Linkssozialisten, die bei der Nationalratswahl 1949 auf einer gemeinsamen Liste mit den Kommunisten kandidierte.

1956 gingen die Linkssozialisten schließlich in der KPÖ auf. Die klare Abgrenzung der SPÖ von den Kommunisten, betrieben von Adolf Schärf, war entscheidend für den weiteren Kurs einer Westorientierung der Partei. Nachdem die ÖVP dessen ungeachtet bis in die 1960er-Jahre immer wieder eine drohende Volksfront-Gefahr bei einem Wahlsieg der SPÖ („Rote Katze“-Propaganda) an die Wand gemalt hatte, bereitete Bruno Kreisky 1969 dem Spuk mit der „Eisenstädter Erklärung“, die jede Form irgendeiner Zusammenarbeit mit Kommunisten ausschloss, ein Ende.

1964: Die Olah-Krise

Große Verdienste bei der Niederschlagung eines Streiks kommunistischer Arbeiter erwarb sich im Herbst 1950 der Sozialist Franz Olah als Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz. Olah, der im Austrofaschismus mehrmals inhaftiert worden war und in der Nazi-Herrschaft ins KZ Dachau kam, legte eine steile Karriere als Abgeordneter zum Nationalrat, ÖGB-Präsident und Innenminister hin.

Innerparteilich baute er seine Macht aus, indem er der FPÖ eine Million Schilling an Gewerkschaftsgeld als Förderung zukommen ließ mit dem Hintergedanken, für die SPÖ eine künftige Koalitionsoption neben der Volkspartei zu eröffnen. Und Olah besicherte Kredite zur Neugründung der „Kronen Zeitung“ mit einem Gewerkschaftssparbuch in der Hoffnung, eine neue unabhängige Zeitung würde ihm „etwas sympathischer“ gegenüberstehen.
Großer innerparteilicher Gegenspieler von Franz Olah war Justizminister Christian Broda. Die Kontrollkommission des ÖGB deckte die Geldflüsse auf und Olah wurde als Innenminister abberufen, nachdem er in einem „Presse“-Interview die Parteiführung kritisiert hatte. Demonstrationen von Olah-Anhängern vor der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße waren die Folge. Und im November 1964 wurde Franz Olah aus der SPÖ ausgeschlossen. Er habe, so Christian Broda, die SPÖ zu einer „Führerpartei“ machen wollen. Olah gründete 1965 die DFP (Demokratisch-Fortschrittliche Partei), führte im Jahr darauf einen populistischen Nationalratswahlkampf, gewann nur drei Prozent der Stimmen auf Kosten der SPÖ, kam also nicht ins Parlament, aber begünstigte mit seinem Antreten die absolute Mehrheit von ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus 1966.

In der Folge kam es zu einem vorübergehenden Gastspiel der DFP im Wiener Gemeinderat und einer Verurteilung von Franz Olah in einem vom ÖGB angestrengten Gerichtsverfahren. Erst in der Ära Kreisky bahnte sich eine Aussöhnung der SPÖ mit Olah an, der 2009 verstarb.

Und jetzt? Der Richtungsstreit

Man kann durchaus einen größeren Zusammenhang zwischen beiden dargestellten Ereignissen erkennen, die für die Entwicklung nicht nur der Sozialdemokratie, sondern von ganz Österreich richtungweisend waren: Der Absage an Linksradikalismus und Kommunismus 1948 folgte in der SPÖ-Parteigeschichte 1964 die Zurückweisung jeder Art von „Führerkult“ und dessen, was man heute Populismus nennt. Diese Klärungen machten die 13-jährige Ära Kreisky erst möglich. Bruno Kreisky, selbst in einer Kampfabstimmung 1967 zum Parteivorsitzenden gekürt, der sich in seinen Reden gern auf den austromarxistischen Theoretiker Otto Bauer berief, sich in seiner Politik aber am Pragmatiker Karl Renner orientierte, war eine Integrationsfigur, die Erfolge möglich machte, weil sie über die SPÖ hinaus Strahlkraft entfaltete.

Wenn man die aktuelle SPÖ-interne Führungsdiskussion verfolgt, kann man durchaus Anklänge an die Frontstellungen von einst erkennen von linksaußen bis populistisch. Nur wenn die auf dem bevorstehenden Parteitag zu kürende Führungsfigur die SPÖ durch Bündelung aller Kräfte einen kann, wozu auch eine inhaltliche und personelle Zukunftsaufstellung gehört, besteht eine realistische Chance auf Führung oder zumindest Teilnahme an der nächsten Bundesregierung.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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