Geehrt, geschmäht, verkannt, vergessen: das Leben des Friedrich S. Krauss, einer großen Persönlichkeit der jüngeren Wissenschaftsgeschichte unseres Landes.
Seine Forschungsergebnisse hätten einen Mundartkenner wie H. C. Artmann begeistert. Peter Wehle, der sprachkundige Dokumentarist des Wienerischen, wäre vielleicht schamrot geworden. Sigmund Freud unterstützte sie, die Wiener Universität mochte sie nicht. Leidenschaftslos und in feinem Gelehrtenlatein erläutert der Volkskundler Ausdrücke wie Bauchlackier'n, Bajonettputzen, Doppeladler machen, Dreier scheib'n, Ohrwaschl'n eins'sama, puserieren, Salonnuderl oder Weiberleiberhandel. Gegen Letzteren, den Handel mit jungen Frauen, kämpfte er zeitlebens an.
Friedrich S. Krauss hatte bis zu seinem Tod am 30. Mai 1938 in der Nähe meiner Adresse gewohnt. Zweimal täglich gehe ich an dem Haus, in dem er ein halbes Jahrhundert lang lebte, vorbei. Nichts erinnert an ihn. Ein „Privatgelehrter“ war er. Als dürftig lebender alter Mann hatte er sich vom noblen Fotostudio Fayer porträtieren lassen. Das Bild zeigt einen kahlköpfigen Professor mit gepflegtem Bart, Anzug und Gelehrtenbrille. Der Ausdruck „durchgeistigt“ drängt sich auf. Wissenschaftliche Gesellschaften aus Europa und Übersee hatten ihn mit Ehrungen überhäuft. Die „Internationale klinische Rundschau“ lobte seine Publikationen.