Geschichtsverfälschung in „The King's Speech“?

Intellektuelle kritisieren die Filmdarstellung von Churchill und Edward VIII.: Sie sehen einen „fabrizierten“ antifaschistischen Mythos.

Als er in der Nacht auf Montag den Oscar für das beste Originaldrehbuch gewann, war David Seidler bester Dinge: Der britisch-amerikanische Autor triumphierte für sein lang gehegtes Herzensprojekt The King's Speech. Und wie dessen Hauptfigur, der künftige König GeorgeVI., hatte Seidler ein Stotter-Trauma zu überwinden. Die im Film zelebrierten Radioansprachen des Monarchen waren für ihn dabei eine wichtige Inspiration.

Vor einer Woche war David Seidler aber noch sehr zornig. Wegen eines Artikels des renommierten amerikanischen Intellektuellen Christopher Hitchens im US-Onlinemagazin „Slate“: „The King's Speech ist ein sehr gut gemachter Film mit einer verführerisch allzu menschlichen Handlung, hübsch kalkuliert, um intelligentere Kinogeher und latente Anglophile anzusprechen. Aber er verzerrt die Historie aufs Gröbste“, zog Hitchens gleich vom Leder, um dann vor allem die Darstellung von Winston Churchill im Oscar-Film auseinanderzunehmen – die sei bizarr, und nicht nur wegen des Spiels von Timothy Spall.

In The King's Speech wird Winston Churchill als konsequenter Unterstützer des Königs gezeigt. Wie Isaac Chotier es in einer zweiten kritischen Breitseite im US-Politikmagazin „The New Republic“ formulierte: „Für Historiker eine Neuigkeit.“ Denn bis zu dessen Abdankung als König im Dezember 1936 hatte Churchill Georges älteren Bruder, EdwardVIII., unterstützt. Der war als Nazi-Befürworter berüchtigt und machte nach dem Thronverzicht eine Hochzeitsreise ins Dritte Reich samt Hitlergruß-Fotos. Im Film wird Edwards Haltung leicht angedeutet, Hitchens erregt aber überhaupt das Porträt des britischen Königshauses als Teilnehmer im antifaschistischen Kampf, wo es doch die einlenkende „Appeasement“-Politik gegenüber Hitler unterstützte. Der Film zeige einen „nachträglich fabrizierten Mythos“ von „Britanniens größter Stunde“, der im Vorfeld einer anstehenden königlichen Hochzeit das royale Image aufmöble, befindet Hitchens.

Seidler antwortete in einem Interview: Eine Szene über Churchills Gesinnungswandel sei gedreht worden, aber aus dem Film geflogen – sie habe „sich gezogen“. Hitchens konterte: „Warum nicht eine Szene schaffen, die die wesentlich faszinierendere Wahrheit illustriert und sich nicht zieht?“ Die Antwort wird wohl ausbleiben können: Schön, wenn ein gelehrter Polemiker eine historische Debatte zum Oscar-Kino vom Zaun bricht, aber dessen Wirkung erschöpft sich dann eben doch im Preisrummel. Und der hat David Seidler jetzt recht gegeben.

E-Mails an: christoph.huber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2011)

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