Scharfe Warnung an Kroatien: Justizreform ungenügend

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Kroatiens Ziel, die EU-Beitrittsvehandlungen noch vor dem Sommer abzuschließen, wird immer unrealistischer. Die EU-Kommission rügt die politisierte Justiz und den schwachen Schutz der serbischen Minderheit.

Brüssel. Das Ziel der kroatischen Regierung, noch vor dem Sommer die Verhandlungen über den Beitritt zur EU abzuschließen, erweist sich zusehends als unrealistisch.

Die Europäische Kommission bemängelte am Mittwoch, dass Kroatien noch immer mutmaßliche Kriegsverbrecher ungestraft lässt, neue Richter, Staatsanwälte und Polizisten weiterhin nicht in ausreichendem Maß nach sachlichen Kriterien anstellt und die im Land verbliebenen Serben nicht so schützt wie versprochen.

„Kroatien hat bisher nicht alle Ziele erreicht, und darum schlagen wir nicht vor, dieses Kapitel abzuschließen“, sagte Erweiterungskommissar Štefan Füle im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments. Er nannte das Ziel der Zagreber Regierung, im Juni die Verhandlungen komplett zu einem Ende zu bringen, „höchst ehrgeizig“.

Seine Kritik fußt auf einer Untersuchung der kroatischen Reformen in den Bereichen Gerichtswesen und Menschenrechte. Seit Juni 2010 verhandelt Brüssel mit Zagreb über dieses Kapitel 23 des Rechts der EU, das Kroatien einführen muss, um der Union beizutreten. 28 der 35 Kapitel sind in trockenen Tüchern, doch bei Nummer 23 spießt es sich.

Die Kommission kritisiert erstens, dass Kroatiens Richter und Staatsanwälte noch immer nicht auf Grundlage „einheitlicher, transparenter, objektiver und landesweit anwendbarer Kriterien“ angestellt werden. Hinsichtlich der Einstellung neuer Polizisten warnt Brüssel davor, dass noch immer zu viele Beamte kraft parteipolitischer Zugehörigkeit und trotz fachlicher Inkompetenz angestellt werden.

785.561 offene Gerichtsverfahren

Zweitens ist das Gerichtswesen zu leistungsschwach. Von Dezember 2009 bis Dezember 2010 schaffte es Kroatien nur, die Zahl offener Verfahren um 1,3 Prozent von 795.722 auf 785.561 zu senken. Die Zahl alter Strafverfahren sank zwar um 10,6 Prozent. Dafür stieg die Zahl zivilrechtlicher Verfahren, die seit mindestens drei Jahren anhängig sind, um 3,8 Prozent.

Neben dem Umstand, dass Kroatien drittens noch immer keinen glaubhaften Plan hat, um gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher vorzugehen, würden viertens die Minderheiten nicht ausreichend geschützt. Von 2070 Wohnungen, die serbischen Rückkehrern für das Jahr 2009 versprochen worden waren, seien nur 1300 gebaut und gerade 1024 überreicht worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 3. März 2011)

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