Ein bosnischer Ex-General in Auslieferungshaft: Divjak wurde aufgrund eines serbischen Haftbefehls auf dem Flughafen Schwechat festgenommen. Belgrad wirft ihm Verbrechen an jugoslawischen Soldaten im Mai 1992 vor.
Wien. Er gilt vielen Bosniern als Kriegsheld – als Held, dem man sich ganz besonders verbunden fühlt. Jovan Divjak war – ethnisch gesehen – zwar Serbe. Doch er leitete die Verteidigung der bosnischen Hauptstadt Sarajewo gegen die Truppen der bosnischen Serben Anfang der Neunzigerjahre. Nun sitzt der Exgeneral in Österreich im Gefängnis. Der 73-Jährige war am Donnerstag um 20 Uhr bei der Einreise auf dem Flughafen Schwechat festgenommen worden. Divjak kam aus Sarajewo und wollte weiter nach Italien.
Am Freitag verhängte das zuständige Landesgericht Korneuburg über ihn die Auslieferungshaft. Grund dafür: Gegen ihn liegt ein serbischer Haftbefehl vor, der über Interpol ausgeschrieben ist. Denn aus serbischer Sicht ist der bosnische „Kriegsheld“ ein „Kriegsverbrecher“. Die Behörden in Belgrad suchen ihn wegen Vorfällen vom Mai 1992. Der Krieg in Ex-Jugoslawien hatte damals Bosnien-Herzegowina erreicht. Die einstige jugoslawische Teilrepublik war einen Monat zuvor von der Europäischen Gemeinschaft als eigener Staat anerkannt worden. Doch der bosnisch-serbische Nationalist Radovan Karadžić und seine Anhänger gingen mithilfe Belgrads daran, mit Waffengewalt „autonome serbische Zonen“ innerhalb Bosniens zu errichten.
Am 2. Mai versuchten serbische Einheiten, ins Stadtzentrum von Sarajewo vorzustoßen – zum Teil mit Unterstützung der örtlichen Garnison der jugoslawischen Volksarmee. Just in diesem Chaos landete Bosniens Präsident Alija Izetbegović auf dem Flughafen Sarajewo. Izetbegović, der Führer der bosnischen Muslime, kam von Verhandlungen aus Spanien. Auf dem Flughafen wurde er von der dort stationierten jugoslawischen Volksarmee festgesetzt. Für seine Freilassung verlangte ihr Kommandant freies Geleit für den Abzug seiner Soldaten aus der Stadt.
Während des Abzuges kam es zu chaotischen Szenen. Bosnische Kämpfer griffen den Konvoi an, um Munition zu erbeuten – und weil die jugoslawischen Soldaten offenbar entgegen der Abmachung schwere Waffen mitnahmen. Laut serbischer Darstellung ein Kriegsverbrechen, bei dem Dutzende Soldaten umgekommen seien. Als einen der Hauptverantwortlichen dafür sieht Belgrad General Divjak.
Warten auf Papiere aus Belgrad
Österreichs Justizministerium warte nun darauf, dass Serbiens Justizministerium die entsprechenden Unterlagen über den Fall zur Verfügung stellt, berichtet der Sprecher der Staatsanwaltschaft Korneuburg, Friedrich Köhl, der „Presse“. Anhand dieser Unterlagen werde entschieden, ob eine Auslieferung Divjaks an Serbien zulässig sei.
Wegen des Vorfalls in Sarajewo war 2010 Ejup Ganić, Ex-Mitglied des bosnischen Kriegspräsidiums, in London verhaftet worden. Auch Ganić wird von Belgrad gesucht. London entschied schließlich, dass eine Auslieferung nicht zulässig sei, und ließ ihn wieder frei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2011)