Die netten Reiter der Apokalypse

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Das Erdbeben in Japan und seine Folgen lassen Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb und ihren Mann, den Risikoforscher Wolfgang Kromp, wieder verstärkt ins mediale Rampenlicht treten.

Seit knapp zwei Wochen fallen ihre gemeinsamen Frühstücke in der Hietzinger Jugendstilvilla nur kurz aus. Oder gleich komplett. Denn seit Japan von einem Erdbeben erschüttert, von einem Tsunami überrollt und mit kollabierenden Kernkraftwerken konfrontiert wurde, sind auch Helga Kromp-Kolb und ihr Mann, Wolfgang Kromp, im Dauereinsatz. „Wirklich viel Zeit zum Reden haben wir eher nicht mehr“, meint Kromp-Kolb.

Was vor allem an den Berufen des Paares liegt. Er, der studierte Physiker, ist Leiter des Instituts für Risikoforschung, das sich schwerpunktmäßig den Risken der Atomkraft widmet. Sie, die studierte Meteorologin, beschäftigt sich als Klimaforscherin auch vermehrt mit erneuerbaren Energien und Nachhaltigkeit. Beide sind somit geradezu prädestiniert, in Medien als Experten befragt zu werden. Unter anderem auch deswegen, weil beide immer wieder als warnende Stimmen aufgetreten sind, die die Gefahren des Klimawandels, der fossilen Energiegewinnung und schließlich auch der Kernenergie beschworen haben.

Allzu überrascht seien sie dann auch nicht gewesen, als sich die Katastrophe in Japan abzeichnete. „Ich habe jahrelang in Vorlesungen gesagt – wenn auch ironisch –, dass wir auf den schweren Unfall hinarbeiten“, sagt Kromp. Fühlt man sich dann bestätigt, wenn tatsächlich eintritt, wovor man gewarnt hat? Das nicht, wirft seine Frau ein: „Befriedigung kann man in so einer Situation nicht empfinden.“ Noch dazu, wenn man in ein paar Monaten ohnehin bald wieder in Vergessenheit geraten sein werde. „Da werden eh wieder alle sagen, dass ja eigentlich nichts passiert ist.“

Nichts passiert. Ein Befund, der bei dem Ehepaar nicht so recht ins Konzept ihrer Zukunft passt. Denn was die beiden eint, ist ihre Einschätzung der Lage der Menschheit. Und die sieht dramatisch aus. „Als Naturwissenschaftlerin im Klimabereich kann ich nicht sagen, dass goldene Zeiten kommen“, sagt Kromp-Kolb. Und ihr Mann vergleicht die Lage der Menschheit mit einem Flugzeug, dem gerade der Sprit ausgeht. Klingt reichlich pessimistisch– aber immerhin, es gebe noch eine Chance: „Wir haben noch ein Höhenruder und Instrumente für eine Notlandung.“


Ängste als Geschäftsmodell. Ihre Sicht der Welt bringt dem Paar immer wieder den Vorwurf ein, Propheten des Untergangs zu sein, das Beschwören von Urängsten quasi zum Geschäftsmodell zu machen. Ein Modell, das auch aufzugehen scheint – schließlich schätzt das Publikum analog zur Politik auch in der Wissenschaft griffige Ansagen und extreme Standpunkte weit mehr als vorsichtiges und abwägendes Auftreten. Und die Warnung vor der Klimakatastrophe oder den unabwägbaren Risken der Nuklearenergie findet auch in den Medien dankbare Abnehmer.

Vorwürfe wie diese weisen die beiden aber vehement zurück. „Katastrophismus ist kontraproduktiv“, meint Kromp-Kolb. „Denn dann tun die Menschen nichts mehr.“ Und tun müsste man nach ihrer Einschätzung vieles. Auch einiges Radikales. „Ich fahre sicher einen Kurs, der das Leben zumindest eines großen Teils der Menschheit infrage stellt.“ Klar sei, dass man mehr Ressourcen verbrauche, als die Natur zur Verfügung stellen kann. Dementsprechend müsse man sein Verhalten massiv ändern.

Das beginne schon damit, sich im Kleinen zurückzunehmen, etwa auf Flugreisen oder Autos zu verzichten. Kromp-Kolb etwa fährt regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Uni, bei schönem Wetter auch mit dem Fahrrad. Ihr Mann wiederum legt auch weite Strecken statt mit dem Flugzeug mit Bus oder Bahn zurück.

Was noch recht entspannt klingt, weitet sich bei weiterer Nachfrage allerdings zu Größerem aus. „Die Entlastung vom Materiellen täte uns gut“, meint die 62-Jährige. Und sie greift dabei zeitweilig zu drastischen Vergleichen: „Wenn ein Haus abbrennt, verliert man vieles, aber es ist auch befreiend, weil man so viele Dinge hat, die man hortet, obwohl man sie nicht braucht.“

Und auch ihr Mann lässt mit Aussagen aufhorchen, die nach dem romantisch verklärten Wunsch nach einer Wende zurück ins Dörfliche klingen. So habe sich in den letzten Jahrhunderten ein völlig falsches Menschenbild entwickelt, in dem sich die Menschheit durch ihren Intellekt geleitet sieht. „Dabei benehmen wir uns archaisch.“ Dazu gehöre auch das alte Paradigma, immer größer werden zu müssen, um gegen die anderen bestehen zu können. Doch irgendwann habe jedes Wachstum ein Ende. „Die Zivilisation ist so dicht gepackt“, meint Kromp. Und der Mensch könne darin gar nicht mehr so leben, wie er es eigentlich wolle. „Wir müssen erkennen, dass wir eigentlich Kleingruppenlebewesen sind.“

Die Begeisterung über seine Ideen einer idealen Welt ist Kromp anzumerken, wenn er einmal in Fahrt gekommen ist. Und auch über die idealisierte Vorstellung des kleinbäuerlichen Lebens kann er stundenlang referieren. Nach dem Krieg, erzählt er, sei er mit seiner Mutter bei Verwandten in Niederösterreich untergebracht gewesen. Da habe trotz der Belastungen durch den Krieg alles funktioniert, habe man sich ohne Probleme selbst versorgen können. Heute sei das längst nicht mehr möglich. Denn echtes Saatgut gebe es heute nicht mehr, weil große Konzerne die Samen so manipuliert haben, dass sie nur für eine Saison verwendet werden können. Außerdem seien die Landwirte vom Erdöl abhängig – für den Dünger, den Traktor, für Ersatzteile aus Kunststoff.

Wenn die Erdölvorräte der Welt einmal aufgebracht sind – „vielleicht in drei, vielleicht in dreißig Jahren“ –, sehe es schlecht aus. Generell sieht Kromp die Nutzung fossiler Brennstoffe als Problem. „Erdöl ist ein Raubgut, das wir der Natur und unseren Nachkommen wegnehmen.“ Müsste man es nach seinem tatsächlichen Wert berechnen, wären alternative Energieformen plötzlich konkurrenzfähig.


Kein sofortiger Atomstopp. Doch bei all der Sehnsucht nach kleinräumigeren Strukturen, nach alternativen Formen des Zusammenlebens – eine völlige Abkehr von der Realität ist Kromp dann doch zu futuristisch. „Ich möchte nicht in der Vergangenheit leben“, sagt er. Schließlich sei es ja für den Einzelnen auch angenehm, all die Segnungen der Zivilisation in Anspruch zu nehmen. „Dass ich mir etwa meine Zähne richten lassen kann, dass ich in meinem Alter nicht invalide sein muss, das schätze ich schon“, so der 68-Jährige.

Ganz so radikal, wie man meinen könnte, sieht er auch das Thema Atomkraft nicht. Denn so reizvoll die Vorstellung wäre, die Atomenergie wegen ihrer Risken sofort zu stoppen – realistisch sei das nicht. Zumindest nicht sofort. „Sonst könnte man etwa Frankreich zusperren, weil dort 80Prozent der Energie aus Atomkraftwerken kommen.“ Sinnvoller sei es, zunächst ältere, störungsanfällige Kraftwerke zu schließen. Und danach sukzessive, langsam auszusteigen, während neue Formen der Energiegewinnung gefördert werden. Was das Paar dann machen würde? Vermutlich einmal in Ruhe frühstücken. Und dann ein paar Interviews über die Gefahren der Wasserkraft geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

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