"Anna Bolena": Königinnen, um Königsdrama zu adeln

bedarf Koeniginnen Koenigsdrama adeln
bedarf Koeniginnen Koenigsdrama adeln(c) APA/WIENER STAATSOPER / MICHAEL (WIENER STAATSOPER / MICHAEL P�HN)
  • Drucken

Wie Anna Netrebko die junge Tradition der Erneuerung des Belcanto-Repertoires in Wien fortsetzt und in die Fußstapfen der Gruberová tritt.

Anna Netrebko und Elīna Garanča als Premierendiven, dazu Elisabeth Kulman (in der Hosenrolle des in die Königin verliebten Pagen): Die illustre Damenrunde sichert dem Premierenabend an der Wiener Staatsoper schon aufgrund des versammelten vokalen Potenzials alle Aufmerksamkeit.

In die Annalen geht der Samstag, der 2. April 2011, vor allem deshalb ein, weil eine Erstaufführung auf dem Programm stand: „Anna Bolena“ ist zwar 180 Jahre alt und gilt in der Literatur als eine der bedeutendsten Opern des Belcanto-Repertoires. Doch hat es gerade dieses Belcanto-Repertoire in Wien traditionsgemäß schwer.

Der Komponist, Gaetano Donizetti, war eine Zeit lang sogar kaiserlicher Hofkomponist in Wien. Doch im genetischen Code der Wiener Musikgeschichte begab sich just in jenen Vierzigerjahren des 19.Jahrhunderts die Landnahme von Lanner und Strauß. Aus der Stadt der Klassiker wurde die Walzer-Metropole. Das Opernhaus, 1869 an der Ringstraße eröffnet, wurde (und blieb) das Opernmuseum.

Belcanto im Wiener Museum. Unter den dort „ausgestellten“ Werken nahm Belcanto bald einen denkbar geringen Stellenwert ein. Zu Lebzeiten der führenden Komponisten war das anders. Da nahm das Publikum lebhaften Anteil an den so melodischen Novitäten. Noch Beethoven empörte sich über den „Rossini-Rummel“, obgleich er die Qualitäten dieses Urahns der flexibel und elegant modellierten Vokalphrase durchaus erkannte und ihm angeblich nach dessen Einstandsbesuch noch auf der Treppe nachgerufen haben soll: „Und machen Sie viele Barbiere!“

Der „Barbier von Sevilla“ hat denn auch seit der Eröffnung des Hauses am Ring 724 Aufführungen erfahren. Donizettis brillante Gegenstücke, „Don Pasquale“ und der „Liebestrank“, liegen in der Statistik abgeschlagen bei jeweils „nur“ knapp über 200 Vorstellungen.

Die Dritte im Bunde von Donizettis exquisiten Musikkomödien, die „Regimentstochter“ hält seit ihrer Erstaufführung im Staatsoperngebäude (1878) immerhin bei 80 Reprisen, davon fanden aber nur neun Aufführungen in der jüngeren Vergangenheit statt – dank der umjubelten Produktion aus dem Jahr 2007 mit Natalie Dessay und Juan Diego Florez. Sie ist sofort wieder aus dem Spielplan verschwunden, was bezeichnend für den Umgang mit Donizetti & Co. hierzulande ist.

Jahrhundertchance. Dass Belcanto in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt einige Chancen bekommen hat, dankt das Wiener Publikum einer einzigen Interpretin.

Am Beginn der kleinen „Renaissance“ stand Richard Strauss' „Ariadne auf Naxos“. Deren Premiere im Herbst 1976 bescherte der Slowakin Edita Gruberová den internationalen Durchbruch. Als Zerbinetta demonstrierte sie– und demonstriert wie ein singendes Naturwunder bis heute – ihre unfassbare vokale Agilität. Dass diese unbedingt im Dienste Bellinis und Donizettis stehen sollte, befand der damalige Operndirektor Egon Seefehlner.

Wiederbelebungsversuche. Er liebte die Belcanto-Musik und startete (vergebliche) Versuche, Vincenzo Bellinis Meisterstück, „Norma“, ins Repertoire zu integrieren. Er brachte mit Sona Ghazarian und Agnes Baltsa auch Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ zur Erstaufführung. Die Gruberová übernahm später die Julia – aber nur zwei Mal.

Für sie aber tauschte Seefehlner in seiner zweiten Spielzeit nach der Zerbinetta-Sensation eine Premiere aus und nahm ein Vierteljahrhundert nach dem legendären Callas-Gastspiel unter Karajan „Lucia di Lammermoor“ wieder in den Spielplan auf. Dieses Werk wurde bis heute fast 150-mal in Boleslav Barlogs Inszenierung gespielt, mehr als die Hälfte der Vorstellungen mit der Gruberová in der Titelpartie.

Für die Primadonna wurden dann auch Stücke wie Donizettis „Roberto Devereux“ und „Maria Stuarda“ oder Bellinis „Puritaner“ in den Spielplan genommen. Sogar ohne die Gruberová wagte man sich danach an Stücke wie die „Nachtwandlerin“ (Premiere mit Stefania Bonfadelli, 2001). In dieser Produktion präsentierte sich später auch die neue Diva, Anna Netrebko. Sie sang auch die Lucia und die Adina im „Liebestrank“ – und schickt sich an, als „Anna Bolena“ nun den Belcanto-Amazonenstatus von der Gruberová zu übernehmen. Die Königinnenpartie wird sie demnächst zur Eröffnung der kommenden Saison auch an der New Yorker Met interpretieren.

Eine ausführliche Rezension der Premiere von „Anna Bolena“ erscheint im Montagblatt. „Anna Bolena“ live (zeitversetzt) in ORF2: 5.4. (20.15h).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Netrebko Anna Operngipfel
Klassik

Die Netrebko als Anna: Der Operngipfel

Staatsoper. Jubel um eine Donizetti-Premiere, die den Musikfreunden ein Dreigespann großer Frauenstimmen bescherte: Neben der Königin brillierten Elina Garanča und Elisabeth Kulman.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.