Psychotherapie durch "Lehrlinge"?

(c) Clemens Fabry
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Die Wiener Gebietskrankenkasse setzt bei einem neuen Ambulatorium auf Auszubildende in der Kinder- und Jugendpsychotherapie. Der Berufsverband protestiert. Bei der WGKK kann man mit der Kritik wenig anfangen.

Wien. Kinder und Jugendliche, die eine Psychotherapie benötigen, sollen diese nun schneller erhalten– allerdings von einem Therapeuten in Ausbildung. Das will die Wiener Gebietskrankenkasse in dem neuen, für Herbst geplanten psychotherapeutischen Ambulatorium in der Andreasgasse in Wien Neubau umsetzen.

Die Idee stößt bei den Berufsvertretern auf erbitterten Widerstand. „Das lehnen wir konsequent ab. Die wollen ganz billig ein paar Versorgungsstunden erhalten“, sagt Eva Mückstein, Präsidentin des Österreichischen Berufsverbandes für Psychotherapie (ÖBVP). Diese Lösung ist für sie vor allem für Kinder und Jugendliche undenkbar. „Das ist ein sensibler Bereich, der viel Erfahrung braucht. Normalerweise macht man die Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten erst nach einer abgeschlossenen Psychotherapie-Ausbildung“, so Mückstein. Sie kritisiert weiters, dass ein Teil der dort arbeitenden Therapeuten weder angestellt noch ausreichend bezahlt werden soll.

Bei der Wiener Gebietskrankenkasse kann man mit diesen Argumenten naturgemäß wenig anfangen. Ein Teil der Therapeuten wird aus dem Psychotherapie-Zentrum auf der Mariahilfer Straße abgezogen. Dabei handelt es sich um bereits ausgebildetes, angestelltes Personal. Der Rest soll aus Psychotherapeuten in Ausbildung unter Supervision rekrutiert werden.

7000 neue Therapiestunden

„Wir stellen dadurch 7000 Therapiestunden zur Verfügung. 3500 davon kommen von den Therapeuten aus Mariahilf", sagt Andrea Fleischmann von der Abteilung Vertragspartnerservice der Wiener Gebietskrankenkasse. Sie erhofft sich dadurch eine (vom Berufsverband geforderte) Verbesserung der Qualität der Ausbildung. Der Patient habe dadurch keinen Schaden, da ausgewiesen werde, wer sich noch in Ausbildung befindet und wer nicht. Auch sonst kann sie mit der Kritik vonseiten des ÖBVP wenig anfangen. Sie ortet weder zu lange Wartezeiten noch zu wenig Therapieplätze. „Im Moment ist das Angebot durchaus passend."

Die Kosten für eine Psychotherapie werden in Österreich - bei schwerwiegender Erkrankung - zwar von der Krankenkasse übernommen, allerdings steht dafür jedem Bundesland nur ein fixes Kontingent an Stunden zur Verfügung. In Wien sind das etwa 125.000 Stunden pro Jahr.

Wer in diesem Kontingent keinen Platz mehr findet, muss die Therapiestunde, die im Schnitt zwischen 80 und 100 Euro kostet, selbst zahlen. Die Krankenkasse steuert da lediglich einen Beitrag von 21,80 Euro bei. Zu wenig, wie der Berufsverband befindet, zumal dieser Betrag seit 1992 nicht angehoben wurde. „Wir setzen lieber auf Direktversorgung. Den Zuschuss zu erhöhen wäre kontraproduktiv", so Fleischmann.

Laut dem Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) nehmen in Österreich rund 30.000 Menschen pro Jahr Psychotherapie in Anspruch. Mückstein schätzt den Bedarf aber auf rund 400.000 Personen. In Prozent liege der Bedarf bei 2,1 bis fünf Prozent der Bevölkerung. Ähnlich ist das bei Kindern, wobei sich hier der aktuelle Versorgungsgrad bei 0,3 Prozent bewegt. „Die Krankenkasse zahlt also nicht einmal ein Zehntel von dem, was benötigt wird", sagt Mückstein. Joachim Hagleitner vom ÖBIG meint dazu: „Der Bedarf wird nicht gedeckt, auch wenn es schwer zu sagen ist, wie hoch er tatsächlich ist." Auch stationär sei die Kinder- und Jugendpsychotherapie stark ausgelastet. „Es gibt oft Probleme, eine Anschlussbehandlung zu finden. Das weist auf einen Mangel hin."

Soziale Tarife

Der Verein für Psychotherapie (VfP) versucht, das Problem mit dem Projekt Psychotherapeutischer Bereitschaftsdienst in den Griff zu bekommen. Der Verein bietet Therapiestunden zum „Sozialtarif" von 30 Euro an. Allerdings handelt es sich auch hier um sich in Ausbildung befindende Therapeuten. Heuer kommen zu den 70 (werdenden) Therapeuten noch einmal rund 50 ausgebildete Therapeuten dazu. Hier kostet die Einheit 56 Euro.

„Wir können somit tausend Therapieplätze anbieten", sagt Christian Novotny vom Verein für Psychotherapie. Er schätzt die Wartezeit auf Therapieplätze auf acht bis 32 Wochen - für Erwachsene. Mückstein spricht hingegen bei Kindern von Wartezeiten von bis zu einem Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2011)

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