Pop

Sieg der beeindruckenden Durchschnittlichkeit

(c) ORF (MILENKO BADZIC)
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Den 56. Eurovisions-Gesangswettbewerb gewann Ell/Nikki, ein ungleiches Duo aus Aserbaidschan, vor Italien und Schweden. Österreichs Kandidatin Nadine Beiler klatschte auf dem 18.Platz auf.

Jetzt maulen wieder alle. Die ehemaligen Sowjetrepubliken hätten sich gegenseitig den Goder gekrault, die Skandinavier gepackelt, die Balkanbewohner einander völlig ungeniert die Punkte zugeschanzt. Und Österreich? Wegen des sich schon abzeichnenden Unheils wurde doch tatsächlich die Tradition lustvoll gelebter Intimfeindschaft mit Deutschland gebrochen. Fette zehn Punkte wurden über die Nordgrenze geschickt. Und die Deutschen praktizierten ebenfalls Höflichkeit gegen den Feind. Zwölf Punkte für Nadine Beilers leicht verzitterte Performance, da war so mancher Song-Contest-Aficionado sprachlos. Dass sowohl Portugal wie Frankreich Spanien mit Höchstwertungen eindeckten, hatte tiefere Gründe. Pauschaltourismusclub-Diseuse Lucia Pérez attackierte mit „Que Me Quiten Lo Bailado“. Das sich so harmlos gebende Liedchen war von ideologischer Brisanz. Übersetzt trällerte Pérez nämlich: „Ich hatte Spaß, was kümmert mich der Rest“. Da war sie wieder, die Idee des Südens: faulenzen, schön sein und sich erotisch ganz viel umtun. Das war gar nicht mehrheitsfähig. Drittvorletzter Platz.

Isländischer Schleim, griechisches Pathos

Was machten Kandidaten anderer ökonomisch nicht mit höchstem Ethos handelnder Länder? Die Isländer schleimten mit „Coming Home“, einem freundlichen Pub-Popsong, der versuchte, soziale Hierarchien mit penetranter Freundlichkeit aufzulösen. Das wirtschaftlich gebeutelte Griechenland zeigte sich kämpferischer. Loucas Yiorikas strapazierte seine Stimmbänder mit viel Pathos. Leider geht so viel Stolz zumeist mit leeren Taschen einher. Wenigstens kostet es nichts, von der eigenen Gloriosität zu fantasieren.

Das Oben und Unten des Lebens bekamen die Sieger Ell/Nikki besser in den Griff. Optimistisch ließen sie güldenen Regen auf sich herabpritscheln. Außerdem waren sie weiß gekleidet, eine Farbe, die schon siebenmal zum Erfolg geführt hat. Ihr „Running Scared“ war von beeindruckender Durchschnittlichkeit. Wohl deshalb zählten es die Buchmacher schon vorab zum engen Favoritenkreis, zu dem auch Abstürzler wie der französische Opernsänger Amaury Vassili gehörten. Seine schöne Geste, es auf Korsisch zu versuchen, blieb unbelohnt.

Voraussagen waren heuer schwierig wie nie. Schund und Qualität wurden zu gleichen Teilen in den Wettstreit geworfen. Da wurden Monumental-Schmonzetten und Retro-Soul, Euro-Eighties-Trash und freche Ska-Polkas gegeben. Und da war noch der Italiener Raphael Gualazzi. Seine mit reichlich Jazz und Blues angereicherte Kanzone „Madness of Love“ war das mit Abstand beste Lied des Abends. Dass Italien nach 14 Jahren Song-Contest-Enthaltsamkeit damit am Ende auf Platz zwei landen würde, konnte niemand ahnen. Erstaunlich auch, dass das favorisierte irische Zwillingsbuben-Duo Jedward mit greller Performance und spritzigem Song bloß den achten Rang eroberte. Weit unter ihrem Wert geschlagen wurde auch der serbische Beitrag. Ninas optimistisch groovender Retro-Soul-Song „Caroban“ drehte die Uhren mit viel Leidenschaft auf die pastellfarbenen Sixties zurück. Modisch stimmig war auch der Auftritt der moldawischen Ska-Punk-Speed-Polka-Kombo Zdob si Zdub, die voll auf den Einsatz von traditionellen Spitzhüten setzte. Mit diesen Webpelz-Antennen sollte kosmische Energie angezapft werden. Trotz des zusätzlichen Einsatzes einer Fee auf einem Einrad: chancenlos. Nur Platz 12.

Peinliche Popnationen, konturlose Nadine

Sehr peinlich waren die Beiträge großer Popnationen wie England und Schweden. Blue präsentierten sich als Best-Ager der Boygroup-Generation, Eric Saade rockte sich primitiv narzisstisch mit „I Wanna Be Popular“ auf Platz drei. Qualität kam aus Deutschland. Vorjahressiegerin Lena hat ihren Abiturientinnencharme abgelegt und zeigte sich mit der zart düsteren Electropopnummer „Taken By A Stranger“ musikalisch gereift. Platz zehn. In jeder Hinsicht konturlos: Nadine Beiler. Mit flackernden Augen und Bambi-Zittern flehte sie um Mitleid – vergebens. Mit Platz18 konnte nur ein kleiner Teil des „Schaases“ (©Nadine B.) bemeistert werden. Eine Strategie gegen die anhaltende Erfolglosigkeit Österreichs beim Song Contest könnte in der Auflösung des Staates liegen: Neun Kleinststaaten böten mehr Möglichkeit nachbarlicher Bauchpinseleien. Damit würden die Top Ten ins Gesichtsfeld rücken. Wann handelt die Regierung endlich?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2011)

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