Chastity Bono: Die Tochter, die zum Sohn wurde

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Nach 41 Jahren im falschen Körper fühlt sich Chaz Bono endlich wohl in seiner Haut. Die Mutter, Pop-Diva Cher, kämpft mit der neuen Identität. Viele in der Homosexuellen- und Transgender-Bewegung sind irritiert.

Chaz schmunzelt, als er seine Mutter dabei beobachtet, ihr Kind beim Namen zu nennen – an sich die normalste Sache der Welt. Aber was ist schon normal in der Welt von Cher, die ihrer Tochter einst in einem Anflug von Hippie-Originalität den Namen Chastity verpasste, was soviel heißt wie Keuschheit? Benannt nach einer Filmrolle, in der die Pop-Diva in der Regie ihres Manns Sonny eine Bisexuelle verkörperte, konnte sich indes niemand so recht mit dem Taufnamen anfreunden.

Und so kam es, dass die Kleine stets mit Kosenamen gerufen wurde – obendrein vor einem Millionenpublikum, war sie doch mit strohblondem Haar und in ihren knallbunten Kleidchen als Aufputz fixer Bestandteil der Sonny-&-Cher-TV-Show. Ein sicherer Gag.

Die Pronomen geraten Cher gehörig durcheinander, wenn heute die Rede von ihrem Kind ist. In dem Dokumentarfilm „Becoming Chaz“ oder in Interviews spricht sie meist, einem Reflex folgend, von ihrer Tochter, ehe sie verlegen herumzustottern beginnt und sich korrigiert. Aus einer „Sie“ wird dann ein „Er“. 41 Jahre lassen sich eben nicht kurzerhand wegwischen. Als Erinnerung an die Stimme ihrer Tochter bewahrt sie die Aufnahmen des Anrufbeantworters auf.

Aus Chastity wurde im Vorjahr Chaz, beglaubigt durch die Änderung des Führerscheins. Cher ringt noch mit der neuen Identität des 42-Jährigen. Chaz bringt dafür Verständnis auf, aber viele in der Homosexuellen- und Transgender-Bewegung sind irritiert über die Akzeptanzschwierigkeiten der Schwulenikone Cher. Dass nicht sie die Kosten für die Operation der Brustentfernung getragen hat, sondern zwei Freundinnen von Chaz dafür aufgekommen sind, hat nicht nur in Hollywood Verwunderung hervorgerufen. Dass Cher neulich die Doku über die Umwandlung Chastitys, in der sie selbst nur ganz am Rande auftaucht, in ihrem Strandhaus in Malibu vorgeführt hat, stimmte ihre Fangemeinde einigermaßen versöhnlich.

Der Film, der in der Dokumentarreihe des Sundance-Festivals – in Abwesenheit von Cher – aus der Taufe gehoben und vom Oprah-Winfrey-Sender OWN ausgestrahlt wurde, begleitet Chaz im Lauf seiner monatelangen Metamorphose zum Chirurgen und ins Herrenmodengeschäft. Er zeigt ihn im Zwiegespräch mit Freundin Jennifer, die ihm zaghaft die Spritzen für die Hormonkur setzt, und im Kreis seiner allgegenwärtigen Kätzchen, bei einer Kundgebung für Schwulenrechte und ganz zuletzt an der Seite seiner Mutter bei der Hollywood-Premiere von „Burlesque“.

Wer so öffentlich aufgewachsen ist, so sagte sich Chaz, müsse auch in aller Öffentlichkeit den Prozess seiner Mannwerdung dokumentieren. Neben dem Film legte er auch ein Buch vor: „Transition“. Als „Tomboy“, als wildes Mädchen, fühlte sich Chastity noch wohl in ihrer Haut. Spätestens mit Beginn der Pubertät wähnte sie sich jedoch im falschen Körper: „Da merkte ich, dass mit mir etwas nicht stimmte.“ Zunächst dachte sie, sie sei lesbisch. Sie vertraute sich ihrem Vater Sonny an, der vom Popstar später zum republikanischen Politiker mutierte. Der habe ihr Outing, erzählt Chaz, viel lockerer genommen als Cher. Wegen politischer Meinungsverschiedenheiten ist der Kontakt vor dessen Umfalltod auf der Skipiste 1998 abgerissen.

Chastity stürzt sich in lesbische Beziehungen, frisst sich Kilo um Kilo hinauf, flüchtet in Alkohol, Drogen, Tabletten und baut sich eine Scheinrealität aus Videospielen auf. Zuerst wollte sie es nicht wahrhaben, dass sie keine Lesbierin sei, dass sie keine weibliche Identität verspüre. Es sollte Jahre dauern, bis Chaz den Tag der Brustoperation als Neugeburt feierte – als jenen Tag, an dem eine Last tonnenschwer abfiel. Einer vollständigen Geschlechtsumwandlung hat er sich nicht unterzogen, weil die plastische Chirurgie noch nicht ausgereift sei. Einstweilen fühlt er sich auch so – in Krawatte, mit Koteletten, aber ohne Penis – als Identifikationsfigur für Transgender-Schicksalsgenossen in seinem Element.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2011)

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