Der Ägypter Ayman al-Zawahiri wurde zum Nachfolger von Osama bin Laden ernannt. Eine führende Rolle spielt er seit Langem. Die meisten Audiobotschaften der vergangenen Jahre stammten von Ihm.
Wien/Islamabad. Auf den wenigen Fotos, die Osama bin Laden zeigen, ist oft noch ein zweiter Mann zu sehen: etwas kräftiger als der Anfang Mai getötete Terrorchef, den grau melierten Vollbart ein paar Zentimeter kürzer als jener. Nun wurde Bin Ladens rechte Hand, der Ägypter Ayman al-Zawahiri eineinhalb Monate nach dem Tod des al-Qaida-Führers zu dessen Nachfolger bestimmt, von einem „Generalkommando“ des Terrornetzwerks. Dies war am Donnerstag auf einer islamistischen Internetseite zu lesen.
Im Mai war zunächst Saif al-Adel, ebenfalls ein Ägypter, zum interimistischen Chef bestellt worden, erwartungsgemäß nahm nun aber Zawahiri die Position ein. Wobei der Ägypter de facto seit Langem bereits eine Art geschäftsführender al-Qaida-Chef ist. Die meisten Audiobotschaften der vergangenen Jahre stammten nicht von Bin Laden, sondern von seinem bisherigen Stellvertreter. Der ging in der Medienarbeit auch neue Wege und beantwortete mündlich im Internet eingesandte Fragen.
Viel wichtiger freilich war seine programmatische Arbeit für das Terrornetzwerk. Es mag übertrieben sein, Bin Laden als Zawahiris Geschöpf zu bezeichnen, doch der Einfluss des Arztes aus Kairo auf den Spross einer saudischen Millionärsfamilie war von Anfang an groß. Die beiden hatten sich Ende der 80er-Jahre in Pakistan kennengelernt, in der Endphase des „Heiligen Krieges“ gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans. Als beim legendären Treffen im August 1988 der Vorläufer der heutigen al-Qaida aus der Taufe gehoben wurde, war Zawahiri dabei. Er hatte in den folgenden Jahren maßgeblichen Anteil an der ideologischen Basis der Terrororganisation.
Al-Qaida bleibt unter Zawahiri gefährlich
Als Ägypter stammte er aus jenem Land, in dem der moderne Islamismus seine Wiege hat. Und aus einem Land, in dem diese Strömungen brutal unterdrückt wurden. Er selbst wurde in den Folterkellern des Mubarak-Regimes angeblich übel zugerichtet, nach der Ermordung von Mubaraks Vorgänger Sadat durch Zawahiris Gruppe „Ägyptischer Islamischer Jihad“. Zawahiri und mit ihm Bin Laden wollten nach der Vertreibung der Sowjets aus Afghanistan die jihadistische Energie umlenken auf die „gottlosen“ arabischen Regime. Bald ging es auch gegen den Westen, beflügelt durch die Präsenz von US-Truppen in Bin Ladens Heimat.
Mit dem uncharismatischen Zawahiri an der Spitze ist al-Qaida nicht mehr oder weniger gefährlich als bisher, zumal die lokalen Filialen des Netzwerks ohnehin relativ unabhängig von der Zentrale agieren. Geändert hat sich nur eines: Nun ist Zawahiri die Nummer eins auf der Liste der US-Terrorjäger.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2011)